Leitsatz (amtlich)

Ist durch das Rechtsbeschwerdegericht nur der Rechtsfolgenausspruch eines Urteils mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben worden und erscheint der Betroffene in der neuen Hauptverhandlung nicht, so kommt eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht in Betracht.

 

Verfahrensgang

AG Soest (Entscheidung vom 15.08.2006; Aktenzeichen 21 OWi 140 Js 1590/05 (776/05))

 

Tenor

  • 1.

    Die Sache wird zur Fortbildung des Rechts dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (Entscheidung des Einzelrichters).

  • 2.

    Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Soest zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Durch den Bußgeldbescheid des Kreises Soest vom 27. Juni 2005 ist gegen den Betroffenen wegen unerlaubten Wendens auf Kraftfahrstraßen eine erhöhte Geldbuße von 170,00 Euro und - unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2 a StVG - ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden. Auf seinen Einspruch ist der Betroffene durch das Amtsgericht Soest am 13. Dezember 2005 wegen "fahrlässigen Wendens auf der durchgehenden Fahrbahn der Kraftfahrstraße" zu einer Geldbuße von 170,00 Euro verurteilt worden. Außerdem ist gegen ihn unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2 a StVG ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden.

Auf seine auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde hat der Senat durch Beschluß vom 28. März 2006 das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben und insoweit die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Soest zurückverwiesen.

Durch das nunmehr angefochtene Urteil des Amtsgerichts Soest vom 15. August 2006 ist der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Kreises Soest vom 27. Juni 2005 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen worden, weil der Betroffene in der Hauptverhandlung unentschuldigt ausgeblieben sei. Hiergegen hat der Betroffene rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt und mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Ein mit der Rechtsbeschwerde zugleich eingelegter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung ist als unbegründet verworfen worden.

II.

Die Sache war gemäß § 80 a Abs. 3 S. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts auf den Senat in der Besetzung mir drei Richtern zu übertragen, da die Rechtsfrage zu klären ist, ob eine Verwerfung des Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG auch dann zulässig ist, wenn eine vorangegangene amtsgerichtliche Entscheidung entweder wegen einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Anfechtung oder wegen Aufhebung nur des Rechtsfolgenausspruchs durch das Rechtsbeschwerdegericht im Schuldspruch rechtskräftig geworden ist.

III.

Die auf die Sachrüge von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Frage, ob das Amtsgericht den Umfang seiner Prüfungs- und Feststellungspflicht verkannt hat, ergibt, daß das Urteil des Amtsgerichts Soest vom 13. Dezember 2005 und der Beschluß des Senats vom 28. März 2006 einer Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG entgegenstanden und das Amtsgericht deshalb seiner Verpflichtung, über die Rechtsfolgen der vom Betroffenen Ordnungswidrigkeit neu zu befinden, durch die angefochtene Entscheidung nicht nachgekommen ist.

Ob nach Aufhebung eines Sachurteils durch das Rechtsbeschwerdegericht die Verwerfung des Einspruchs bei unerlaubter Abwesenheit des Betroffenen zulässig ist, wird unterschiedlich beurteilt (vgl. zum Meinungsstand Göhler, OWiG, 14. Auflage, § 74 Rdnr. 24; KK-OWiG-Senge, OWiG, 2. Auflage, § 74 Rdnr. 21; OLG Stuttgart, VRS 101, 128 ff., OLG Köln, VRS 98, 217 ff., , jeweils m.w.N. ). Soweit die Verwerfung des Einspruchs auch in einem solchen Fall für zulässig gehalten wird, wird das mit der durch das OWiGÄndG vom 17. Dezember 1997 eingeführten Neuregelung des § 74 Abs. 2 OWiG begründet, nach der der Einspruch zwingend zu verwerfen ist, wenn der Betroffene unerlaubt der Hauptverhandlung ferngeblieben ist. Außerdem wird auf praktische Schwierigkeiten hingewiesen, wenn der Betroffene zur Hauptverhandlung nicht erscheint.

Diese Frage ist aber, soweit ersichtlich, bisher obergerichtlich nur für den Fall entschieden worden, daß das vorangegangene Urteil insgesamt aufgehoben worden ist (vgl. OLG Stuttgart, VRS 101, 128 ff.; OLG Köln VRS 98, 217 ff.; OLG Stuttgart, NJW 2002, 978 ff.). Ob diese Ansicht auch im Fall der Aufhebung des vorangegangenen Urteils nur im Rechtsfolgenausspruch gelten soll, ist, soweit ersichtlich, bisher offen gelassen worden (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O., S. 130).

Diese Rechtsfrage beantwortet der Senat in dem Sinne, daß nach vorangegangener Aufhebung nur des Rechtsfolgenausspruchs durch das Rechtsbeschwerdegericht in einer neuen Hauptverhandlung eine Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht zulässig ist. Durch die Ent...

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