Leitsatz (amtlich)

Wird in einer Haftsache die Hauptverhandlung erst auf einen Termin fast sechs Monate nach Eingang der Akten und der sich zeitnah anschließenden Eröffnung des Hauptverfahrens terminiert, verstößt das in der Regel gegen den Beschleunigungsgrundsatz. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass der Termin mit dem Verteidiger abgesprochen ist. Allerdings darf kann durch die Verhinderung des Verteidigers nicht eine Verfahrensverzögerung von mehreren Monaten eintreten.

 

Tenor

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 23. September 2005 (67 Gs 1045/05) wird aufgehoben.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte befindet sich seit dem 10. November 2005 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Grundlage des Vollzugs der Untersuchungshaft ist der Haftbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 23. September 2005 (67 Gs 1045/05). Dem Angeklagten wird in dem Haftbefehl ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz zur Last gelegt. Er soll in der Zeit von Ende Juli bis zum 22. September 2005 durch 4 selbständige Handlungen mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringer Menge Handel getrieben haben. Es soll sich insgesamt um 300 g Heroin gehandelt haben. Diese Taten sind auch Gegenstand der Anklage der Staatsanwaltschaft Hagen vom 14. November 2005. Wegen der Einzelheiten, insbesondere wegen des dem Angeklagten im einzelnen zur Last gelegten Tatgeschehens, wird auf den Inhalt des Haftbefehls vom 23. September 2005 und auf die Anklage der Staatsanwaltschaft Hagen vom 14. November 2005 Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat nach der vorläufigen Festnahme des Angeklagten am 22. September 2005 den Haftbefehl vom 23. September 2005 unmittelbar nach seinem Erlass außer Vollzug gesetzt. Da der Angeklagte den Meldeauflagen jedoch nicht nachgekommen ist, wurde der Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt und der Angeklagte am 10. November 2005 erneut festgenommen. Gegen den Angeklagten besteht noch ein weiterer Haftbefehl vom 10. Februar 2006 wegen Verstoßes gegen das BtMG.

Die Staatsanwaltschaft Hagen hat unter dem 14. November 2005 gegen den Angeklagten Anklage erhoben. Das Amtsgericht hat nach Eingang der Anklage unter dem 16. November 2005 deren Zustellung bewilligt und sodann unter dem 9. Dezember 2005 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen. Zugleich hat es Termin zur Hauptverhandlung auf den 5. Mai 2006 bestimmt. Dieser ist nach einem sich auf der Terminsverfügung befindenden Vermerk mit dem Verteidiger abgestimmt, der inzwischen zum Pflichtverteidiger beigeordnete Wahlverteidiger des Angeklagten hat das allerdings in Abrede gestellt.

Am 21. Dezember 2005 hat der Verteidiger des Angeklagten unter Hinweis auf Art 5. Abs. 3 Satz 2 MRK die Aufhebung des Haftbefehls beantragt. Das Amtsgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 6. Januar 2006 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Haftbeschwerde hat die Strafkammer zurückgewiesen. Gegen deren Beschluss richtet sich nunmehr noch die weitere Haftbeschwerde des Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 23. September 2005 war aufzuheben.

Dahinstehen kann, ob dringender Tatverdacht und Fluchgefahr i.S. des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben sind. Jedenfalls ist durch die Terminierung der Haftsache erst am 5. Mai, also fast sechs Monate nach Eingang der Anklage beim Amtsgericht und unmittelbar vor Ablauf der Frist des § 121 Abs. 1 StPO der aus Art 5 Abs. 3 Satz 2 MRK für Haftsachen folgende besondere Beschleunigungsgrundsatz verletzt. Das Verfahren wird nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert.

Die StPO kennt für die Dauer der Untersuchungshaft keine festen zeitlichen Obergrenzen. Das hat zur Folge, dass Untersuchungshaft zwar grundsätzlich bis zum Abschluss des Strafverfahrens andauern darf, dass das Verfahren aber nicht beliebig langsam geführt werden darf. Dafür spricht die für jeden Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens geltende Unschuldsvermutung, die insoweit auch fordert, dass so schnell wie möglich geklärt wird, ob der Beschuldigte der ihm vorgeworfenen Straftat überführt und deshalb eine zu vollstreckende Freiheitsstrafe gegen ihn verhängt werden kann. Zum anderen steht einer beliebig langen Dauer des Strafverfahrens der sich aus Art. 2 Abs. 2, 104 GG ergebende Freiheitsanspruch des Beschuldigten entgegen, der seine besondere Ausprägung auch in Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK gefunden hat. Dieser räumt dem Beschuldigten ausdrücklich einen Anspruch auf "Aburteilung innerhalb einer angemessen Frist oder auf Haftentlassung" ein (vgl. dAzu aus neuerer Zeit auch EGMR StV 2005, 136 und vor allem BVerfG StV 2006, 73; NStZ 2005, 456; und Beschluss vom 23. September 2005, 2 BvR 1315/05). Insbesondere auf diese Vorschriften geht der gerade für Strafverfahren mit Untersuchungshaft besonders geltende Beschleunigungsgrundsatz zurück. Er führt zu der allgemeinen Forderung, dass Untersuchungshaft-Verfahren mit der größtmöglichen Beschleunigung zu...

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