Leitsatz (amtlich)

Muss ein Bus einige Sekunden nach dem Anfahren verkehrsbedingt abgebremst werden und stürzt hierbei ein Fahrgast, der durch den Bus geht, weil er zu einem im hinteren Bereich des Busses gelegenen Sitzplatz gelangen will, kann dem Verstoß des Fahrgastes gegen die Obliegenheit, sich stets einen festen Halt zu verschaffen (§§ 4 Abs. 3 S. 5 BefBedV, 14 Abs. 3 Nr. 4 BOKraft), die Betriebsgefahr des Busses zurücktreten lassen und einen Schadensersatzanspruch des Fahrgastes vollständig ausschließen.

 

Normenkette

BefBedV § 4 Abs. 3 S. 5; BGB § 241 Abs. 2, §§ 254, 280 I; BOKraft § 14 Abs. 3 Nr. 4; StVG § 7 I, § 9

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Aktenzeichen 5 O 319/20)

 

Tenor

I. Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 05.05.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bochum durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

II. Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses, zu dem Hinweis Stellung zu nehmen oder mitzuteilen, ob die Berufung aus Kostengründen zurückgenommen wird.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus Anlass eines Sturzes, den sie am 00.12.2019 in A gegen 18.12 Uhr als Fahrgast in dem Linienbus der von der Beklagten betriebenen Buslinie BUS01 erlitten hat, auf Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten, ihrer Vorstellung nach sich aber zumindest auf 8.000,- EUR belaufenden Schmerzensgeldes sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 334,75 EUR in Anspruch. Wegen der weiteren Einzelheiten des zugrundeliegenden Sachverhalts und des wechselseitigen Parteivorbringens wird auf das angefochtene Urteil erster Instanz vom 05.05.2021 Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klägerin am 14.04.2021 persönlich angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen B sowie Inaugenscheinnahme der zum Unfallzeitpunkt in dem Linienbus gefertigten Videoaufnahme. Anschließend hat das Landgericht mit am 05.05.2021 verkündeten Urteil die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Klägerin kein Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 7, 17 StVG bzw. §§ 823, 831 BGB zustehe. Denn die Kammer habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen können, dass der Unfall der Klägerin auf einer Pflichtverletzung des Fahrers des Busses, des Zeugen B, beruht habe. Im Hinblick auf die Verpflichtung der Fahrgäste aus § 14 Abs. 3 Nr. BOKraft, sich im Fahrzeug stets einen festen Halt zu verschaffen, müsse sich der Fahrer eines Linienbusses vor dem Anfahren von der Haltestelle grundsätzlich nicht davon überzeugen, dass alle Fahrgäste bereits einen Platz oder Halt im Bus gefunden haben. Hierzu sei er nur dann verpflichtet, wenn sich ihm wegen einer erkennbar schweren Behinderung des Fahrgastes die Überlegung aufdrängen müsse, dass dieser ohne besondere Rücksichtnahme gefährdet sei. Ein solcher Ausnahmefall liege hier aber nicht vor, weil sich die Klägerin ausweislich der Videoaufnahme frei und sicher im Bus bewegt habe, ohne dabei Anzeichen einer Gebrechlichkeit oder eines unsicheren Standes zu zeigen. Allein ihr Alter von 74 Jahren reiche insoweit nicht aus. Ausweislich der Videoaufzeichnung sei die Klägerin entgegen ihrem Behaupten auch nicht unmittelbar nach dem Einsteigen gestürzt, sondern erst nach dem Passieren der ersten Sitzreihen im mittleren Teil des Busses. Es könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch nicht festgestellt werden, dass der Sturz der Klägerin durch einen vermeidbar heftigen, besonders ruckartigen Bremsvorgang des Zeugen B verursacht worden sei. Der Zeuge B habe seinem Bekunden den Bus wegen einer von links vor das Fahrzeug laufenden Person lediglich leicht abbremsen müssen. Seine Aussage sei für das Gericht schlüssig, widerspruchsfrei und glaubhaft, zumal ihre Richtigkeit dadurch bestätigt werde, dass die übrigen Fahrgäste auf der Videoaufzeichnung wegen der Bremsverzögerung bei weitem keine so starke Bewegung nach vorne machen würden, wie von der Klägerin geschildert. Doch selbst wenn man einmal eine Vollbremsung unterstellen wollte, wäre für eine Haftung der Beklagten nur dann Raum, wenn die Bremsung nicht gerechtfertigt und damit vermeidbar gewesen wäre. Nach Überzeugung des Gerichts habe der Zeuge B jedoch wahrheitsgemäß ausgesagt, wegen einer unvermittelt vor dem Bus laufenden Person gebremst zu haben. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sich der Sturz der Klägerin bereits mehrere Sekunden nach dem Einstieg und sogar dem Anfahren des Busses ereignet habe und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem der Busfahrer seine gesamte Aufmerksamkeit dem Fahrvorgang und dem Verkehr habe schenken müssen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die angefochtene Entscheidung des Landgerichts vom 05.05.2021 Bezug genommen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre in erster Instanz zuletzt gestellten Klageanträge weiterverfolgt. Sie meint, das Landgericht habe offensichtlic...

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