Verfahrensgang

AG Hamburg-Harburg (Urteil vom 10.11.1983; Aktenzeichen 634 F 200/83)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte in Abänderung des Urteils des Familiengerichts Hamburg-Harburg vom 10. November 1983 verurteilt, an den Kläger ab 1. Februar 1983 monatlich im voraus 180,– DM Unterhalt zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

 

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Dem Kläger ist wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, weil er rechtzeitig um Prozeßkostenhilfe zur Einlegung der Berufung nachgesucht hat, die ihm durch den Beschluß des Senats vom 17.1.1984 bewilligt worden ist. Das Wiedereinsetzungsgesuch des Klägers ist rechtzeitig innerhalb der Frist des § 234 ZPO gestellt worden.

Die Berufung des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger Unterhalt zu leisten (1601 BGB), weil der Kläger unterhaltsbedürftig ist (§ 1602 Abs. 1 BGB) und die Beklagte, die eine Witwenrente von über 2.000,– DM monatlich hat, ohne Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhalts die verlangten 180,– DM monatlich zahlen kann (§ 1603 Abs. 1 BGB). Nach § 1611 Abs. 1 BGB kann im vorliegenden Fall allenfalls eine Beschränkung, nicht aber der völlige Wegfall des Unterhaltsanspruch angenommen werden.

Der am 18.7.1940 geborene Kläger ist der eheliche Sohn der Beklagten. Sein Vater ist verstorben. Über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt der Kläger nicht. Etwa seit 1974 ist er Alkoholiker. In den Jahren 1975/76 und 1978 war er zweimal zur Alkoholentgiftung im Krankenhaus. Aufgrund der therapeutischen Maßnahmen, die nach einer Entziehungskur im Jahr 1980 ergriffen wurden, will der Kläger jetzt abstinent leben können. Er begann im August 1983 an der staatlichen Gewerbe- und Handelsschule mit dem Einstieg in die 12. Klasse ein Fachoberschulausbildung mit dem Berufsziel „Sozialpädagoge”. Er lebt von Sozialhilfeleistungen. Auf Förderungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz hat er wegen Überschreitens der Altersgrenze keinen Anspruch.

Angesichts der bekannten Arbeitsmarktlage hat der Kläger, der über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, bei seiner sozialen Biographie keine begründeten Aussichten, eine Anstellung zu finden, der er gesundheitlich gewachsen ist. Die staatlich unterstützte Ausbildung zum Sozialpädagogen stellt für den Kläger wohl die letzte Chance dar, eine abgeschlossene Berufsausbildung zu erhalten, auch wenn eine Garantie dafür, daß er alsbald in diesem Beruf wird arbeiten können, derzeit nicht gegeben werden kann. Bisher ist die Beklagte noch nicht in übermäßigem Umfange zum Unterhalt für den Kläger herangezogen worden. Die Unterhaltspflicht der Eltern unterliegt keiner Altersgrenze. Es erscheint von daher nicht grob unbillig, daß die Beklagte dem Kläger für eine angemessene Zeit Unterhalt zahlt. Nach Abschluß der Ausbildung wird der Kläger allerdings alle Anstrengungen unternehmen müssen, für seinen Unterhalt selbst zu sorgen.

Die Vorschrift des § 1611 Abs. 1 BGB steht einer Verurteilung zu einem Unterhalt von nur 180,– DM monatlich nicht entgegen. Es kann zwar davon ausgegangen werden, daß der Kläger durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden ist, doch folgt daraus zunächst nur, daß der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten hat, die der Billigkeit entspricht. Nur wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre, fällt die Unterhaltsverpflichtung ganz weg (§ 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB). Von grober Unbilligkeit könnte nur gesprochen werden, wenn die Zubilligung des der Höhe nach beschränkten Billigkeitsunterhalts ein untragbares Ergebnis wäre. Das ist nach der Ansicht des Senats jedoch nicht der Fall.

Der Unterhalt von 180,– DM monatlich ist ab 1.2.1983 zu zahlen, weil die Beklagte durch die ihr mit Schreiben der öffentlichen Rechtsaus-Auskunft- und Vergleichssstelle Süderelbe vom 12.1.1983 übermittelte Erklärung des Klägers, er verlange von Januar 1983 an monatlich DM 180,– in Verzug gesetzt worden ist. Die öffentliche Rechtsauskunftsstelle, die keine Partei Vertretung ist, hat die Erklärung des Klägers als Botin übermittelt, was einer wirksamen Inverzugsetzung nicht entgegensteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

 

Unterschriften

Kressner, Philippi, Künkel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI867591

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