Entscheidungsstichwort (Thema)

Sorgfaltsanforderungen und geschützter Personenkreis bei der Vorbeifahrt am haftenden Linienbus

 

Normenkette

StVO § 20 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 19.09.2003; Aktenzeichen 331 O 152/03)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 28.03.2006; Aktenzeichen VI ZR 50/05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 31, vom 19.9.2003 - G.-Nr. 331 O 152/03 - wie folgt geändert:

Die Zahlungsanträge der Klage sind dem Grunde nach gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen ihr zukünftig aus dem Unfallereignis vom 17.2.2000 gegen ca. 7.30 Uhr auf der W.-Straße in Hamburg-H. entstehenden materiellen Schaden zu 50 % zu ersetzen, soweit kein Übergang auf Dritte, insb. Sozialversicherungsträger erfolgt.

Zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe der Zahlungsansprüche wird der Rechtsstreit an das LG zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, bleibt dem LG vorbehalten.

Die Revision wird zugelassen, beschränkt auf die Auslegung des § 20 Abs. 1 StVO.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 17.2.2000 in Hamburg auf der W.-Straße ereignet hat. Die Klägerin ist die Witwe und Erbin des bei dem Unfall zu Tode gekommenen K. Dieser hatte als Fußgänger die Straße in zügigem Laufschritt überquert und wurde auf der zuletzt überquerten Fahrbahn von einem von rechts herankommenden Lkw erfasst, der von dem Beklagten zu 1) gefahren wurde und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war. Der Unfall ereignete sich in der Nähe einer aus Sicht des Lkw rechts gelegenen Bushaltestelle, in deren Bucht ein Linienomnibus hielt, während Fahrgäste ein- und ausstiegen.

Die Klägerin hat vorgetragen, ihr Ehemann habe mutmaßlich den Bus erreichen wollen, da er auf dem Weg zur Arbeit gewesen sei. Sie hat die Auffassung vertreten, der Unfall sei vermeidbar gewesen, wenn der Beklagte zu 1) bereits das erste Betreten der Fahrbahn durch ihren Ehemann als Reaktionsaufforderung gewertet und sogleich gebremst hätte, wozu er verpflichtet gewesen sei.

Die Klägerin verlangt mit der Klage Ersatz materiellen Schadens, insb. Unterhaltsschadens, ein Schmerzensgeld sowie Feststellung, wobei sie die Beklagten i.H.v. 50 % für ersatzpflichtig hält.

Die Klägerin hat nach Klagerücknahme i.H.v. 41,21 EUR beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 16.903,36 EUR nebst gestaffelten Zinsen zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen ihr zukünftig aus dem Unfallereignis vom 17.2.2000 gegen ca. 7.30 Uhr auf der W.-Straße in Hamburg-H. entstehenden materiellen Schaden zu 50 % zu ersetzen, soweit kein Übergang auf Dritte, insb. Sozialversicherungsträger erfolgt,

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben die Ansicht vertreten, der Unfall sei für den Beklagten zu 1) unvermeidbar gewesen. Er habe eine Reaktionsaufforderung zum Bremsen erst dann zu sehen brauchen, als Herr K. die Straßenmitte überschritten habe. Ein Verstoß gegen § 20 StVO sei dem Beklagten zu 1) nicht vorzuwerfen. Die Beklagten bestreiten, dass Herr K. den Bus habe erreichen wollen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das LG hat mit Urteil vom 19.9.2003 die Klage abgewiesen. Das Eigenverschulden des Herrn K. hat es darin gesehen, dass dieser unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO die Fahrbahn ohne Beachtung des Fahrzeugverkehrs überschritten habe. Den Beklagten zu 1) habe kein Mitverschulden getroffen. Ein Verstoß gegen § 20 StVO liege schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin nicht bewiesen habe, dass ihr Ehemann tatsächlich den Bus habe erreichen wollen. Dem Beklagten zu 1) sei auch keine zu späte Reaktion vorzuwerfen. Als Herr K. die Fahrbahn betrat, habe für den Beklagten zu 1) noch kein Grund zum Bremsen bestanden. Im Einzelnen wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Gegen jenes Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese fristgerecht begründet. Mit ihr verfolgt sie ihre erstinstanzlichen Klaganträge vollen Umfangs weiter. Sie meint, für die Anwendung des § 20 StVO komme es letztlich nicht darauf an, ob ihr Ehemann tatsächlich den Bus habe erreichen wollen, sondern nur darauf, dass sich dies dem herannahenden Verkehr jedenfalls so dargestellt habe. Angesichts der Anforderungen des § 20 StVO habe sich der Beklagte zu 1) der Bushaltestelle von vornherein mit zu großer Geschwindigkeit genähert.

Die Beklagten begehren die Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen und vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen des...

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