Leitsatz (amtlich)

1. Die Erstellung eines Drehbuchs für einen Spielfilm begründet in der Regel keine Erstbegehungsgefahr.

2. Zur Erstbegehungsgefahr eines Senders, dem ein in seinem Auftrag und in Koproduktion mit ihm angefertigter Spielfilm vorliegt, den dieser noch nicht förmlich abgenommen hat.

3. Zur Abwägung zwischen der verfassungsmäßig garantierten Kunstfreiheit und dem allgemeinen Unternehmenspersönlichkeitsrecht bei einem Spielfilm, der an reale historische Vorgänge anknüpft.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 28.07.2006; Aktenzeichen 324 O 15/06)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 29.08.2007; Aktenzeichen 1 BvR 1225/07, 1 BvR 1226/07)

 

Tenor

1. Die Berufung der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird, unter Zurückweisung ihrer Berufung im Übrigen, das Urteil des LG Hamburg, Geschäftsnummer 324 O 15/06, vom 28.7.2006 abgeändert.

Die einstweilige Verfügung des LG Hamburg vom 14.2.2006 wird bezüglich Ziff. I.7a) und d) bestätigt. Im Übrigen wird die einstweilige Verfügung unter Zurückweisung des ihr zugrunde liegenden Antrags aufgehoben.

3. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin 14/15, die Antragsgegnerin 1/15.

 

Gründe

I. Mit ihren Berufungen wenden sich die Antragsgegnerin gegen die teilweise Bestätigung einer einstweiligen Verfügung, die Antragsstellerin gegen deren teilweise Aufhebung. Die Antragstellerin hat ferner mit Schriftsatz vom 20.3.2007 Hilfsanträge gestellt, zu deren Inhalt im Einzelnen auf Blatt 437 ff. der Akte verwiesen wird.

Die Antragsgegnerin hat die Zurückweisung dieser Anträge beantragt.

Die unter dem Namen Chemie Grünenthal GmbH gegründete Antragstellerin begehrt die Unterlassung der Verbreitung mehrerer Szenen eines im Auftrag der Antragsgegnerin, einer öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalt, von der Zeitsprung Film und TV Produktions GmbH (im Folgenden "Zeitsprung") produzierten 2-teiligen Fernsehfilms, welcher Vorgänge um die Schädigung von allein in Deutschland über 4.000 Ungeborenen infolge der Einnahme des Arzneimittels Contergan durch Schwangere zum Gegenstand hat.

Die Antragstellerin ist ein Pharmaunternehmen, welches 1957 die Beruhigungsmittel Contergan und Contergan forte auf den Markt brachte. Nach zahlreichen Hinweisen seit dem Jahre 1959, die den Verdacht von durch diese Medikamente verursachten teilweise schweren Nervenschäden enthielten, wurde am 15.11.1961 durch den Arzt Dr. Lenz ggü. dem damaligen Forschungsleiter der Antragstellerin der massive Verdacht geäußert, der in dem Medikament enthaltene Wirkstoff Thalidomid könne bei Einnahme in der Schwangerschaft embryonale Missbildungen hervorrufen, worauf das Medikament am 27.11. 1961 vom Markt genommen wurde. Gegen 10 Mitarbeiter der Antragstellerin wurde seit 1961 wegen Verdachts der Körperverletzung ermittelt, Anklage wurde am 13.3.1967 gegen 9 Mitarbeiter der Antragstellerin erhoben. Die Anklage wurde am 18.1.1968 zugelassen. Mehr als 200 Nebenkläger schlossen sich dem Verfahren an. Diese wurden überwiegend von einem Rechtsanwalt vertreten, der selbst Vater eines missgebildeten Sohnes war.

Seit 1969 liefen Entschädigungsverhandlungen mit Vertretern der Geschädigten.

Am 10.4.1970 wurde ein Vertrag abgeschlossen, mit dem sich die Antragstellerin zur Zahlung einer Entschädigung von 100 Millionen DM verpflichtete. Im Dezember 1970 wurden die letzten Strafverfahren gem. § 153 StPO eingestellt.

Der im Auftrag der Antragsgegnerin produzierte Film befasst sich mit den oben geschilderten Vorgängen unter Nennung des Namens der Firma "Chemie Grünenthal" und des Medikaments "Contergan". Im Mittelpunkt dieses Films steht ein junger Rechtsanwalt namens Paul Wegener, der, selbst Vater einer durch Contergan geschädigten Tochter, gegen diese Firma juristisch vorgeht. Der Film zeigt das Zerbrechen der Anwaltssozietät des Paul Wegener, seine private Situation und Belastung infolge der Ereignisse, sowie seinen Kampf gegen die Arzneimittelfirma mit dem Ziel einer Bestrafung der Verantwortlichen und der Durchsetzung einer Entschädigung für die vom ihm vertretenen Geschädigten.

Dieser Film wurde auf der Basis eines Drehbuchs, welches im Laufe der Dreharbeiten teilweise abgeändert wurde, gedreht und spätestens am 6.2.2006 mit Drehbuch der Antragsgegnerin übergeben. Nach fruchtlosen Verhandlungen der Parteien über die Zulässigkeit der Verbreitung einzelner im Drehbuch enthaltener Passagen teilte "Zeitsprung" der Antragstellerin zugleich für die Antragsgegnerin am 19.12.2005 mit, dass Grundlage des Films weiterhin das der Antragstellerin bekannte Drehbuch sei. Man habe den historischen Rahmen sowie die Authentizität der dargestellten Vorgänge genau recherchiert und nur an einzelnen Stellen kleinere, dem Genre Spielfilm geschuldete Abweichungen bzw. Ergänzungen in Kauf genommen. Es bestehe allenfalls Bereitschaft, in einem Vor- und Nachspann darauf hinzuweisen, dass der Film fiktive Anteile enthalte (eidesstattliche Versicherung Anlage ASt. 7).

Die Antragsgegnerin hat auf ihrer Website, die u...

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