Leitsatz (amtlich)

Zur Abwägung zwischen der verfassungsmäßig garantierten Kunstfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einer Person, die als Urbild einer Filmfigur erkennbar ist, im Falle eines Spielfilms, der an reale historische Vorgänge anknüpft.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 28.07.2006; Aktenzeichen 324 O 62/06)

 

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des LG Hamburg, Geschäftsnummer 324 O 62/06, vom 28.7.2006 abgeändert. Die einstweilige Verfügung des LG vom 9.2.2006 wird aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Gründe

I. Mit der Berufung wendet sich die Antragsgegnerin gegen ein Urteil des LG, mit dem dieses eine einstweilige Verfügung bestätigt hat. Mit dieser einstweiligen Verfügung war der Antragsgegnerin, einer Filmproduktionsfirma, verboten worden, bestimmte Passagen eines Drehbuchs sowie eines dieses in Szene setzenden Films zu verbreiten oder verbreiten zu lassen.

Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und vertrat seit dem Jahr 1961 die Interessen von Geschädigten des Arzneimittels Contergan insbesondere im Rahmen des gegen Mitarbeiter der Arzneimittelherstellerin, der Firma Chemie Grünenthal, laufenden Ermittlungsverfahrens. In dem anschließenden Strafverfahren vertrat er eine große Anzahl der über 200 Nebenkläger. Der Antragsteller ist selbst Vater eines durch dieses Arzneimittel geschädigten Sohnes.

Am 10.4.1970 wurde zwischen den Geschädigten, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dr. Schreiber und der Firma Chemie Grünenthal ein Vertrag geschlossen, mit dem sich dieses Unternehmen zur Zahlung einer Entschädigung von 100 Millionen DM verpflichtete. Das seit Januar 1968 laufende Strafverfahren wurde durch Beschluss des LG Aachen vom 18.12. 1970 gem. § 153 StPO endgültig eingestellt.

Die Antragsgegnerin produziert im Auftrag des WDR einen 2-teiligen Fernsehfilm, der sich mit den oben geschilderten Vorgängen unter Nennung des Namens der Firma "Chemie Grünenthal" sowie des Medikaments Contergan befasst. Im Mittelpunkt dieses Films steht ein junger Rechtsanwalt namens Paul Wegener, der, selbst Vater einer durch Contergan geschädigten Tochter, gegen dieses Unternehmen juristisch vorgeht. Der Film zeigt das Zerbrechen der Anwaltssozietät des Paul Wegener, seine private Situation und Belastung infolge der Ereignisse sowie seinen Kampf gegen die Arzneimittelfirma mit dem Ziel einer Bestrafung der Verantwortlichen und der Durchsetzung einer Entschädigung für die Geschädigten.

Dieser Film wurde auf der Basis eines Drehbuchs, welches im Laufe der Dreharbeiten teilweise abgeändert wurde, gedreht und spätestens am 6.2.2006 mit Drehbuch dem WDR als Auftraggeber übergeben. Nach fruchtlosen Verhandlungen der Parteien über die Zulässigkeit der Verbreitung einzelner im Drehbuch enthaltener Passagen erklärte die Antragsgegnerin durch Schreiben vom 20.12.2005, dass sie an ihrer grundsätzlichen Einschätzung festhalte, dass die künstlerische Aufarbeitung der damaligen Ereignisse in Form eines fiktionalen TV-Films in der geplanten Form möglich sein werde. (Anl. ASt 5).

Der fertig gestellte Film enthält am Anfang und am Ende jedes Teils einen Vor- bzw. Nachspann mit folgendem Text:

"Dieser Film ist kein Dokumentarfilm! Er ist ein Spiel- und Unterhaltungsfilm auf der Grundlage eines historischen Stoffes. Die fürchterliche Schädigung tausender Kinder durch das Arzneimittel "Contergan", die Einstellung des Strafprozesses gegen die Verantwortlichen wegen "geringer Schuld" und die Zahlung der höchsten Entschädigungssumme in der deutschen Geschichte durch die Herstellerfirma sind historische Realität. Die im Film handelnden Personen und ihre beruflichen und privaten Handlungen und Konflikte sind dagegen frei erfunden."

Der Antragsteller ist der Ansicht, dass die Verbreitung des Drehbuchs und des Films ihn in seinem Persönlichkeitsrecht verletze, weil er durch eine Fülle von Details erkennbar sei. Die angegriffenen Passagen entsprächen nicht der Realität, vermittelten indessen dem Zuschauer den Eindruck, dass sich die Vorgänge tatsächlich so ereignet hätten, wie dargestellt.

Dem gegenüber wendet die Antragsgegnerin ein, es handele sich für die Zuschauer erkennbar um einen Spielfilm in Anlehnung an einen historischen Vorgang, dessen Handlung teilweise ganz frei erfunden sei. Dies sei auch dem beigefügten Vor- und Nachspann zu entnehmen. Die Figur des Paul Wegener sei eine fiktive Gestalt, die der Zuschauer nicht mit dem Antragsteller identifiziere. Zumindest sei durch die angegriffenen Passagen das Lebensbild des Antragstellers nicht verfälscht.

Durch Beschluss vom 9.2.2006 hat das LG die Verbreitung von unter Ziff. 1-17 aufgeführten Passagen des Drehbuchs sowie des dieses in Szene setzenden Films im Wege einstweiliger Verfügung verboten (Bl. 45 ff. d.A.). Diese einstweilige Verfügung wurde durch das mit der Berufung angefochtene Urteil bestätigt.

In zweiter Instanz hat die Antragsgegnerin- vom Antragsteller nicht ...

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