Leitsatz (amtlich)

1. Leitet eine Partei, der ein Schriftstück entgegen §§ 172, 191 ZPO direkt zugestellt worden ist, das Dokument an ihren Prozessbevollmächtigten weiter, wird der Zustellmangel gemäß § 189 ZPO nur geheilt, wenn das Schriftstück dem Prozessbevollmächtigten tatsächlich zugegangen ist. Das ist nur der Fall, wenn ihm das an die Partei selbst zugestellte - also das nämliche - Schriftstück zugeleitet wird (Festhaltung an: OLG Hamburg, PharmaR 2007, 50, 54).

2. Die Authentizität einer im Parteibetrieb zugestellten Beschlussverfügung ist anhand der vom falschen Zustellempfänger (der Partei) selbst hergestellten und dem richtigen Empfänger (dem Prozessbevollmächtigten) übermittelten Kopie des zugestellten Verfügungstitels nicht hinreichend überprüfbar. Die Partei bietet nicht die gleiche Gewähr für die inhaltliche Übereinstimmung des bloß in Kopie weitergeleiteten Titels mit der ihr zugestellten Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des Titels wie dies bei einer Zustellung des Titels durch einen Rechtsanwalt grundsätzlich ebenso der Fall ist wie bei einer Amtszustellung. Daher wird durch einen solchen Vorgang keine Heilung des Zustellmangels gemäß § 189 ZPO bewirkt.

3. Die neuere Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 22.12.2015, VI ZR 79/15, NJW 2016, 1517, Rn. 20 ff.; Urt. v. 22.03.2016, VI ZR 109/15; Urt. v. 19.04.2016, VI ZR 131/15), nach der auch ein bisher als unheilbar geltender Mangel des Schriftstücks selbst als nach § 189 ZPO heilbarer Mangel des Zustellvorgangs angesehen worden ist, ist auf Fälle der Weiterleitung eines unter Mißachtung der Zustellvorschriften an die Partei zugestellten Schriftstücks, dass diese in der Form einer von ihr selbst hergestellten einfachen Abschrift ihrem Prozessbevollmächtigten als dem richtigen Zustellempfänger zuleitet, nicht anwendbar.

 

Normenkette

ZPO §§ 172, 189, 191

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Entscheidung vom 05.04.2017; Aktenzeichen 327 O 18/17)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 5. April 2017, Az.: 327 O 18/17 abgeändert:

Dem Antragsgegner wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt H., ... Berlin, zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts gewährt.

 

Gründe

A. Mit der vorliegenden Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die mit Beschluss des Landgerichts vom 5. April 2017 erfolgte Zurückweisung seines Prozesskostenhilfegesuchs vom 6. Februar 2017.

Der Antragsgegner bietet als gewerblicher Verkäufer unter dem Namen "sp." auf der Internethandelsplattform eBay Fahrräder, Fahrradteile und Fahrradzubehör an (Anlagen AG 1 und K 7). Der Antragsteller, der I. e.V., nimmt den Antragsgegner als Verband gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage auf Unterlassung in Anspruch (Anlagen K 1 bis K 6).

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 mahnte der Antragsteller den Antragsgegner wegen Verstößen gegen verschiedene gesetzliche Informationspflichten, insbesondere hinsichtlich des gesetzlichen Widerrufsrechts, ab. Für die Abmahnung wurde eine Kostenpauschale in Höhe von EUR 232,05 geltend gemacht (Anlage K 17). Mit Anwaltsschreiben vom 20. Dezember 2016 legitimierte sich der Antragsgegnervertreter gegenüber dem Antragsteller - auch im Hinblick auf die Zustellungsbevollmächtigung im Falle der Einleitung eines gerichtlichen Eilverfahrens - für den Antragsgegner und wies die geltend gemachten Ansprüche zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller schon nicht aktiv legitimiert sei, weil nicht ersichtlich sei, dass ihm eine erhebliche Zahl Gewerbetreibender im Bereich des Onlinevertriebs von Fahrradzubehör angehöre (Anlage K 18). Daraufhin übersandte der Antragsteller dem Antragsgegnervertreter eine Liste von 10 Mitgliedern, zu denen ausgeführt wurde, dass sie Waren gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben würden (Anlage K 18).

Nachfolgend erwirkte der Antragsteller die Beschlussverfügung des Landgerichts Hamburg vom 13. Januar 2017, mit welcher dem Antragsgegner bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten worden ist,

1. im geschäftlichen Verkehr mit dem Endverbraucher im Fernabsatz betreffend Sportzubehör Angebote zu veröffentlichen und/oder zu unterhalten,

a) bezüglich derer über das dem Verbraucher zustehende Widerrufsrecht wie folgt informiert wird:

aa) "Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen unter Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, E-Mail) und/oder - wenn Ihnen die Sache vor Fristablauf überlassen wird - durch Rücksendung der Sache widerrufen",

und/oder

bb) "Die Frist beginnt nach Erhalt dieser Belehrung in Textform, jedoch nicht vor Eingang der Ware beim Empfänger (bei der wiederkehrenden Lieferung gleichartiger Waren nicht vor Eingang der ersten Teillieferung) und auch nicht vor Erfüllung unserer Informationspflichten gemäß § 312c Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 1 Abs. 1, 2 und 4 BGB InfoV sowie unserer Pflichten gemäß § 312e Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 3 BGB-InfoV.",

und/oder

cc) "Im Fall...

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