Verfahrensgang

LG Bremen (Beschluss vom 20.10.1998; Aktenzeichen 1 T 627/98)

 

Tenor

1. Der Antragsgegnerin wird für ihre Rechtsverteidigung im Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde Prozeßkostenhilfe gewährt (§ 119 Satz 2 ZPO) und Rechtsanwältin Bahr-Jendges in Bremen beigeordnet.

2. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Landgerichts Bremen – 1. Zivilkammer – vom 20.10.1998 wie folgt abgeändert:

3. Die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.

 

Tatbestand

I. Die Antragstellerin wurde am 03.10.1961 in Lübeck als nichteheliches Kind der seinerzeit 21 Jahre alten Antragsgegnerin geboren. Im Alter von 2 Jahren wurde sie von einem schwedischen Ehepaar adoptiert und lebt seitdem in Schweden. Sie ist schwedische Staatsbürgerin.

Als die Antragstellerin 17 Jahre alt war, klärte ihre Adoptivmutter sie darüber auf, daß sie ein Adoptivkind sei. Die Antragstellerin zog daraufhin aus dem Haushalt ihrer Adoptiveltern aus und brach schließlich den Kontakt zu diesen ab. In der Folgezeit machte sich die Antragstellerin auf die Suche nach ihren biologischen Eltern. Sie erfuhr, daß die Antragsgegnerin ihre leibliche Mutter ist.

Im Jahr 1996 erhob die Antragstellerin gegen einen Herrn W. Klage auf Feststellung der Vaterschaft unter Berufung darauf, die Antragsgegnerin habe Herrn W. ihr gegenüber als ihren leiblichen Vater bezeichnet.

Im Laufe jenes Rechtsstreits erklärte die Antragsgegnerin, sie habe Herrn W. nicht gekannt. Nach Darstellung der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin in jenem Verfahren ferner erklärt, sie wisse, wer der leibliche Vater der Antragstellerin sei, wolle jedoch dessen Namen nicht angeben, da die Sache schon so lange zurückliege und nunmehr Ruhe einkehren müsse.

Die Antragstellerin erhob daraufhin vor dem Amtsgericht Bremen Klage gegen die Antragsgegnerin (u.a.) mit dem Antrag, die Antragsgegnerin möge Auskunft darüber erteilen, wer der leibliche Vater der Antragstellerin sei. Zur Begründung hat die Antragstellerin ausgeführt, sie habe ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Unter Vorlage einer schriftlichen Erklärung einer schwedischen Psychiaterin hat die Antragstellerin geltend gemacht, sie leide wegen der Unmöglichkeit, Kontakt zu ihrem leiblichen Vater aufnehmen zu können, unter Depressionen; die Frage ihrer Herkunft sei für sie „lebenswichtig”.

Die Antragsgegnerin hat eine entsprechende Auskunftserteilung abgelehnt, sie habe sich mit dem leiblichen Vater der Antragstellerin aufgrund der erhobenen Auskunftsklage in Verbindung gesetzt; dieser wolle nicht behelligt werden. Es gebe eine Abmachung zwischen ihr und dem leiblichen Vater, daß über die Person des Erzeugers Stillschweigen bewahrt werde. Die Antragsgegnerin hat dazu vorgetragen, sie habe sich seinerzeit aus Gewissensgründen entschieden, die Schwangerschaft auszutragen und das Kind dann zur Adoption freizugeben. Dem Erzeuger habe sie zugesagt, die Abstammung des Kindes nicht preiszugeben, da anderenfalls die soziale und berufliche Stellung des Vaters und der Fortbestand dessen ehelicher Familie gefährdet gewesen seien, zumal die Antragsgegnerin und der leibliche Vater nicht in einer Partnerschaft hätten miteinander leben wollen. Bei einer solchen Sachlage bestehe ein Auskunftsanspruch der Antragstellerin nicht, zumal die Vollstreckung eines titulierten Auskunftsanspruchs von niemanden gutgeheißen werden könne.

Das Amtsgericht hat die Auskunftsklage mit Urteil vom 02.09.1997 abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, die gebotene Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen beider Parteien gehe vorliegend zu Lasten der Antragstellerin; es sei zu respektieren, daß die Antragsgegnerin sich seinerzeit aus Gewissensgründen entschieden habe, die Antragstellerin auszutragen und die Adoption zu ermöglichen; die Antragstellerin müsse es nach der Wertung des Grundgesetzes hinnehmen, daß sie nicht innerhalb einer Ehe gezeugt worden sei und sich nicht klären lasse, wer ihr leiblicher Vater sei.

Gegen das amtsgerichtliche Urteil hat die Antragstellerin Berufung eingelegt. Sie hat erneut darauf hingewiesen, daß sie mit einer „existentiellen Lebenslüge” aufgewachsen sei und die Klärung ihrer Abstammung für sie Voraussetzung dafür sei, ein zufriedenes Leben führen zu können. Die vom Amtsgericht vorgenommene Abwägung der Interessen der Parteien sei fehlerhaft. Dem Interesse des leiblichen Vaters, nicht Auskunft erteilen zu müssen, komme bei der Abwägung überhaupt keine Bedeutung zu. Selbst wenn das Interesse des Vaters berücksichtigungsfähig sei, müsse bedacht werden, daß der „Fehltritt” der Antragsgegnerin 36 Jahre zurückliege; wesentliche Auswirkungen auf die Interessen des leiblichen Vaters seien im Falle einer Auskunftserteilung schon wegen des Zeitablaufs nicht zu erwarten.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und hat u.a. erneut geltend gemacht, die Vollstreckung eines etwaigen Auskunftsanspruchs sei ausgeschlossen; eine Verurteilung der Antragsgegnerin würde unter ...

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