Leitsatz (amtlich)

1. In einem Verfahren zur Vollstreckung einer Umgangsregelung sind neu hinzutretende Umstände zur Wahrung des Kindeswohls nur dann beachtlich, wenn sich daraus triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe ergeben und hierauf ein zulässiger Antrag auf Abänderung des Ausgangstitels gestützt ist. Da die Abänderung auch von Amts wegen erfolgen kann, ist es auch ausreichend, dass eine Einstellung der Vollstreckung von Amts wegen geboten und die Umstände dem Gericht mitgeteilt werden.

2. Ein eingeschränktes rechtliches Gehör im einstweiligen Anordnungsverfahren kann es rechtfertigen, bei der Entscheidung über die Verhängung des Ordnungsmittels das Kindeswohl einzubeziehen.

 

Normenkette

BGB § 1666

 

Verfahrensgang

AG Hamburg-Harburg (Beschluss vom 08.10.2020; Aktenzeichen 636 F 115/20)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg - Harburg vom 8. Oktober 2020 abgeändert. Der Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsmittels wird zurückgewiesen.

II. Gerichtskosten werden im Verfahren erster und zweiter Instanz nicht erhoben. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.

III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 250 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten um die Festsetzung zweier Ordnungsmittel für einen nicht erfolgten begleiteten Umgang des Vaters mit seinen beiden Söhnen in Elmshorn.

Die Beteiligten sind getrennt lebende Eheleute. Sie heirateten am 27. Januar 2017. Ein Scheidungsverfahren ist anhängig (Az. 636 F 128/20). Aus der Ehe sind der dreijährige M. und der einjährige Ö. hervorgegangen. Die Eltern lebten im Stadtteil Hamburg - Wilhelmsburg.

Zwischen den Beteiligten sind und waren zahlreiche familiengerichtliche Verfahren anhängig. Unter dem 30. Januar 2018 machte die Mutter erstmals einen Gewaltschutzantrag gegen den Vater anhängig (Az. 636 F 28/18). Ein weiterer Antrag folgte am 17. Dezember 2018 (Az. 636 F 351/18). Die Mutter behauptete, der Vater sei ihr gegenüber gewalttätig. Es erfolgten polizeiliche Wegweisung aus der Wohnung. Der Vater begehrte in diesem Zuge Umgang mit seinem Sohn M. (Az. 636 F 353/18). Die Mutter war zu diesem Zeitpunkt mit Ömer schwanger. Die Eheleute regelten die Auseinandersetzung zunächst familienintern.

Unter dem 4. Dezember 2019 regte das Jugendamt die Einleitung eines einstweiligen Anordnungsverfahrens wegen Gefährdung des Kindeswohls an (Az. 636 F 317/19). Auslöser war ein durch Nachbarn der Eltern ausgelöster Polizeieinsatz aufgrund lautstarker Auseinandersetzungen in der Wohnung der Eltern. In der Folge wurde vom Gericht ein Hauptsacheverfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls (Az. 636 F 321/19) und vom Vater ein Umgangsverfahren eingeleitet (Az. 636 F 5/20). Die Eltern verständigten sich in einem gerichtlichen Termin am 15. Januar 2020 über die Ausübung der elterlichen Sorge und den Umgang. Das Jugendamt sah damit zunächst nicht mehr das Wohl der beiden Kinder als gefährdet an.

Unter dem 28. Januar 2020 leitete die Mutter ein Verfahren zur Abänderung der keine zwei Wochen zuvor geschlossenen Einigung mit dem Ziel eines begleiteten Umgangs ein (Az. 636 F 25/20). Gleichzeitig regte das Jugendamt erneut die Einleitung eines Verfahrens wegen Gefährdung des Kindeswohls an (Az. 636 F 29/20). Ausgelöst wurden die Streitigkeiten bei der Ausübung des Umgangs durch den Vater. Der Vater hatte beide Kinder freitags aus dem Kindergarten abgeholt, konnte den 10 Monate alten Ö. aber nicht beruhigen, so dass der Vater sich an die Mutter wandte. Diese war nur zu einer Übergabe unter Vermittlung der Polizei bereit. Vergeblich versuchten Familienmitglieder des Vaters Ö. an der Wohnung der Mutter abzugeben. Streitig ist zwischen den Eltern, ob der Vater ebenfalls bei den Übergabeversuchen anwesend war. Es kam zu einem Polizeieinsatz, dessen Einzelheiten zwischen den Beteiligten umstritten sind und bei dem die Mutter Ö. bei der Schwester des Vaters abholte. Am folgenden Montag kam es zu einem Streit der Eltern vor einem Café bzw. Kulturverein, der ebenfalls in einem Polizeieinsatz mündete. Die Mutter behauptet, dass der Vater sie verprügelt und mit Kaffee übergossen habe. In einem Gerichtstermin am 26. Februar 2020 verständigten sich die Eltern auf einen durch eine Umgangspflegerin begleiteten Umgang. Der Vater war mit dem Lebensmittelpunkt der Kinder bei der Mutter und mit einem Umzug der Mutter nach Elmshorn einverstanden.

Unter dem 25. Mai 2020 wandte sich die Umgangspflegerin an das Gericht und bat um eine Abänderung der vereinbarten Umgangsregelung und ihre Entpflichtung als Umgangspflegerin (Az 636 F 115/20). Die Umgangspflegerin zweifelte an der Motivation des Vaters für einen Umgang und teilte unter anderem mit: "Der Vater zeigt sich zunehmend aggressiv der Kindesmutter und auch der Unterzeichnerin gegenüber. [...] Der Vater hat offenbar starke Impulsdurchbrüche, die er nicht kontrollieren kann. Meines Erachtens befindet sich die Kindesmutter in Gefahr, von ihm erneut angegriffen zu werd...

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