Entscheidungsstichwort (Thema)

Verbotene Eigenmacht bei Selbstabholung eines vermieteten Fahrzeugs und anschließender Verwertung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Selbstabholung eines vermieteten Fahrzeugs durch den Vermieter bei Zahlungsrückstand des Mieters stellt verbotene Eigenmacht dar. Veräußert der Vermieter das Fahrzeug schuldet er Wertersatz und eine Nutzungsentschädigung für einen angemessenen Zeitraum bis zur Ersatzbeschaffung.

2. Eine Mietvertragsklausel, die den Vermieter ermächtigt, den Mieter dem Besitz an der Mietsache ohne dessen Willen und ohne Ankündigung (auch zur Nachtzeit) zu entziehen und das Fahrzeug in Besitz zu nehmen, während der Mieter auf die Geltenmachung von Ansprüchen aus verbotener Eigenmacht verzichtet, ist unwirksam.

 

Normenkette

BGB §§ 307, 823 Abs. 2, §§ 858, 862

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 14.10.2021; Aktenzeichen 2-31 O 62/21)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14.10.2021, Az. 2-31 O 62/21, teilweise abgeändert.

Die Beklagte bleibt unter Aufrechterhaltung der Kostenentscheidung des landgerichtlichen Urteils verurteilt, an die Klägerin 11.408,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.05.2021 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 39 % und die Beklagte 61 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des nach dem Urteil jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Klägerin in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des nach dem Urteil jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Gebührenstreitwert für den zweiten Rechtszug wird auf 22.220,50 EUR festgesetzt. Hiervon entfallen

  • auf die Berufung der Klägerin: 8.712,50 EUR
  • auf die Berufung der Beklagten unter Berücksichtigung der Hilfsaufrechnung 13.508,00 EUR
 

Gründe

I. Die Beklage betreibt bundesweit mit mittlerweile mindestens 25 Filialen ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Sie verfolgt neben dem klassischen Pfandleihgeschäft alternativ das "X-Modell". Dieses Geschäftsmodell hat zum Inhalt, dass sie Eigentümern von Kraftfahrzeugen diese Kraftfahrzeuge abkauft und sie ihnen für einen Folgezeitraum gegen ein monatliches Entgelt unmittelbar zur Miete überlässt. Nach Ende der Mietzeit soll sie das Fahrzeug öffentlich versteigern. Hierfür wirbt sie mit einem unkomplizierten Modell für einen kurzfristigen Liquiditätsengpass bei fehlender Kreditwürdigkeit mit dem Erhalt von Bargeld. Das Prinzip biete eine hervorragende Alternative zum Pfandhaus oder einem üblichen Kredit bei einer Bank. "Weniger Gebühren, Zinsen - dafür sofort Bargeld und gleichbleibende Mobilität!"

Ein früheres ähnliches Geschäftsmodell wurde auf Initiative des Zentralverbandes des Deutschen Pfand- und Kreditgewerbes durch Bescheid vom 10.11.2014 untersagt und die hiergegen gerichtete Klage durch Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 29.11.2016 (Az. M 16 K 14.5826) rechtskräftig abgewiesen. Durch Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 01.02.2018 (Az. 6 U 940/17) wurde der gewerblich vorgenommene Ankauf von Kraftfahrzeugen unter Einräumung eines befristeten Rücktrittsrecht des Verkäufers bei gleichzeitigen Abschluss eines Mietvertrages über das gekaufte Fahrzeug mit dem Verkäufer bis zur Ausübung des Rücktrittsrechts als wegen eines Verstoßes gegen § 34 Abs. 4 GewO unzulässiger und damit nach § 3 a) OWiG unlauterer Rückkaufhandel untersagt, weil im Falle des Rücktritts der vom Verkäufer über die Rückzahlung des Kaufpreises hinaus zu entrichtende Mietzins den Nutzungsersatz für das überlassene Fahrzeug und das zur Verfügung gestellte Kapital übersteige.

2. Die Klägerin suchte wegen akuten Geldbedarfs eine Niederlassung der Beklagten auf, um ihren Hyundai i20 mit dem amtlichen Kennzeichen ..., FIN: ..., Erstzulassung 17.04.2009, zu verpfänden. Zu diesem Zeitpunkt wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 42.486 km auf. Sie unterzeichnete am 12.11.2018 eine Vertragsurkunde. Diese besteht in ihrem ersten Teil aus einem "Kaufvertrag" (Bl. 101 ff. der beigezogenen Akte des Amtsgerichts Frankfurt am Main, Az. ... = Landgericht Frankfurt am Main, Az. ..., im folgenden BA genannt). Danach veräußerte die Klägerin das Fahrzeug zum Preis von 1.500,00 EUR an die Beklagte (§ 4 KV).

Unter § 6 heißt es dort:

"§ 6 Besonderheiten

a. Der Verkäufer beabsichtigt das Fahrzeug von der Käuferin zur Nutzung zurückzumieten. Die Vertragsparteien vereinbaren hierzu, dass das Fahrzeug während der Dauer der Nutzung durch d...

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