Entscheidungsstichwort (Thema)

Beratungspflicht bei Prämienfreistellungsverlangen

 

Leitsatz (amtlich)

Der Wunsch eines Versicherungsnehmers auf vorübergehende Prämienfreistellung kann eine Beratungspflicht der Versicherung nach § 6 Abs. 1, Abs. 4 VVG begründen.

 

Normenkette

VVG § 6 Abs. 1, 4-5, § 165

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Urteil vom 14.12.2015; Aktenzeichen 1 O 224/14)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 14. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des Betrages leistet, dessen Vollstreckung sie betreibt.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist die Ehefrau eines verstorbenen Versicherungsnehmers der Beklagten. Sie macht Forderungen für die Erbengemeinschaft, bestehend aus ihr selbst sowie der Mutter des Versicherungsnehmers, die ihre Rechte am 2.5.2014 an die Klägerin abgetreten hat (Bl. 155 d. A.), geltend. Der am XX.XX.2012 an einer Lungenfibrose verstorbene Versicherungsnehmer unterhielt bei der Beklagten insgesamt vier kapitalbildende Lebensversicherungen mit Leistungen für den Todesfall.

Im August 2011 trat der Verstorbene, der einzelkaufmännisch ein Immobilienunternehmen betrieb, aufgrund eines betrieblichen Liquiditätsengpasses an den Zeugen A, einen bei der Beklagten angestellten Versicherungsvermittler, der nach seinen Angaben eine jahrelange Geschäftsbeziehung mit dem Verstorbenen und daraus folgend ein freundschaftliches Verhältnis hatte, heran, mit dem Ziel, seine monatlichen Belastungen wegen der Versicherungsprämien zu reduzieren. Die Versicherungen wurden auf den von dem Zeugen A vermittelten Antrag des Versicherungsnehmers vom 25.8.2011 (Anlage B 17, Bl. 99 d. A.) von der Beklagten ab dem 1.10.2011 beitragsfrei gestellt.

Ab dem 15.5.2012 nahm der Versicherungsnehmer die monatlichen Prämienzahlungen in der ursprünglichen Höhe wieder auf. Mit Datum vom 19.5.2012 beantragte der Versicherungsnehmer förmlich die Wiederinkraftsetzung der Versicherungen gegenüber der Beklagten (Anlage K 2, Bl. 14 d. A.).

Mit Schreiben vom 13.7.2012 (Anlage B 19, Bl. 102 d. A.) teilte die Beklagte dem Versicherungsnehmer unter Verweis auf ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen mit, dass die Wiederinkraftsetzung von einer Gesundheitsprüfung abhängig sei, und bat um Übersendung der erforderlichen Gesundheitserklärung.

Die Beklagte hat auf der Basis beitragsfreier Versicherungen Todesfallleistungen in Höhe von insgesamt 52.307,30 EUR geleistet. Mit der Klage verlangt die Klägerin die Differenz zu den bei einem vollen Versicherungsschutz bestehenden Anspruch auf Todesfallleistungen in Höhe von 139.010,00 EUR.

Der Versicherungsnehmer hatte bereits im Jahr 1995 mit Schreiben vom 22.11.1995 verlangt, alle Lebensversicherungen beitragsfrei zu stellen (Anlage B 25, Bl. 113 d. A.). Bei dem Antrag auf Wiedereinsetzung vom 14.1.1998 (Anlage B 26, Bl. 114) -bezogen auf die Verträge 1 und 2 - hatte der Versicherungsnehmer alle Gesundheitsfragen beantwortet.

Die Klägerin hat behauptet, der Versicherungsnehmer habe im August 2011 lediglich eine temporäre Beitragsaussetzung gewollt. Die Beklagte habe gegen ihre Beratungspflicht verstoßen, insbesondere habe der Versicherungsnehmer eindeutigen Beratungsbedarf signalisiert. Die Klägerin bestreitet, dass der Versicherungsnehmer Schreiben der Beklagten vom 15.09.2011 erhalten habe.

Die Beklagte hat behauptet, sie habe dem Kläger am 15.9.2011 Schreiben zur Bestätigung der Beitragsfreistellung übersandt, und dazu exemplarisch Anlage B 18 (Bl. 100 d. A.) vorgelegt.

In dem Schreiben heißt es: "Sie haben das Recht prüfen zu lassen, ob Ihr Versicherungsschutz durch Aufnahme der Prämienzahlung wieder in Kraft gesetzt werden kann. Unsere Entscheidung hierüber müssen wir allerdings in den meisten Fällen von dem Ergebnis einer Überprüfung der Gesundheitsverhältnisse abhängig machen. Eine Wiederinkraftsetzung der Versicherung sollte jedoch innerhalb von drei Jahren erfolgen, um die bisherige steuerliche Behandlung der Versicherung aufrechtzuerhalten."

Die Beklagte hat behauptet, der Versicherungsnehmer habe eine unbegrenzte Beitragsaussetzung gewünscht. Sie stellt eine Beratungspflichtverletzung in Abrede, da kein erkennbarer Beratungsbedarf bestanden habe und sie den Versicherungsnehmer mit Schreiben vom 15.9.2011 darauf hingewiesen habe, dass eine erneute Wiederinkraftsetzung des Versicherungsschutzes von einer Gesundheitsprüfung abhängig sei. Ferner habe sich der Versicherungsnehmer in massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden und die nicht unerheblichen Beiträge zu den Versicherungsverträgen nicht bezahlen können.

Wegen der weiteren Feststellungen und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf...

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