Leitsatz (amtlich)

Rückgriff des Unfallversicherers wegen Arbeitsunfalls aufgrund Verstoßes gegen Unfallverhütungsvorschriften (hier: Entfernung einer Holzplatte zur Absturzsicherung bei Dacharbeiten)

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.08.2015; Aktenzeichen 2-23 O 483/13)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28.08.2015 - Az.: 2/23 O 483/13 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung aus den Urteilen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der nach den Urteilen vollstreckbaren Beträge abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin hat als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung von dem Beklagten zu 1. bis 3. Erstattung von Aufwendungen gem. § 110 SGB VII verlangt, die ihr aufgrund eines Arbeitsunfalls des bei der Beklagten zu 1. beschäftigten Versicherten A entstanden sind oder entstehen werden. Ferner hat sie gegenüber den Beklagten zu 4. bis 8. aus gem. § 116 SGB X übergegangenen Ansprüchen Schadensersatz begehrt.

Der Versicherte A arbeitete am XX.XX.2010 auf einer Baustelle in Stadt1. Dort sollten auf einem Pultdach eine Dämmung aus Styropor und anschließend Kunststoffdachbahnen verlegt werden. Auf dem Dach befand sich die 1 m × 1 m große Öffnung eines 24,5 m zum Gebäudeboden hinabreichenden Schachts (Foto Bl. 126 d.A.). Die Öffnung war zunächst mit einer 20 mm dicken, mit der Aufkantung verschraubten Holzplatte abgedeckt. Der Schacht war durch einen ca. 15 cm hohen Holzkranz hervorgehoben. Am Nachmittag dieses Tages besprachen der Beklagte zu 3. und der Versicherte A, die Holzplatte aus Gründen der Vereinfachung vom Schacht herunter zu nehmen, um auf dem Dach die Dachfolie anzubringen. Beim Anbringen der Dachfolie lief der Versicherte rückwärts und stürzte in den Schacht. Dabei zog er sich erhebliche Verletzungen zu, deren Einzelheiten ebenso wie die erlittenen Dauerfolgen sowie die Aufwendungen der Klägerin streitig sind.

Die Klägerin hat unter anderem behauptet, das Entfernen der Schachtabdeckung sei branchenübliches Vorgehen bei Dacharbeiten gewesen. Sie hat gemeint, der Beklagte zu 2. hätte diese Risiken erkennen und dafür Sorge tragen müssen, dass vor dem Entfernen der Holzplatte eine ausreichende Absturzsicherung vorhanden war, oder aber ausdrücklich Anweisung erteilen müssen, die Abdeckung entgegen der branchenüblichen Arbeitsweise nicht zu entfernen. Auch die übrigen Beklagten hätten grob fahrlässig gehandelt, weil sich ihnen unmittelbar hätte aufdrängen müssen, dass beim Verlegen der Folie akute Absturzgefahr bestanden habe.

Die Beklagten zu 1. bis 4. haben behauptet, nach der Vorstellung der Beklagten zu 1. und 2. habe die Folie über die abgedeckte Öffnung gelegt und die Platte erst später entfernt werden sollen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten zu 1. bis 3. gem. § 110 SGB VII scheitere daran, dass diese Beklagten nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hätten. Nicht jeder Verstoß gegen eine Unfallverhütungsvorschrift - wie hier gegen § 12 Abs. 1 Nr. 4 BVG C 22 - sei schon für sich als eine schwere Verletzung der Sorgfaltspflicht anzusehen. Zwar diene die Unfallverhütungsvorschrift dem Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren. Jedoch sei auch zu berücksichtigen, dass der Schacht keineswegs überhaupt nicht oder zu keinem Zeitpunkt gesichert gewesen sei. Der Beklagte zu 2. habe auch keine konkrete Anweisung erteilt, die Platte zu entfernen. Der Vorwurf der Klägerin, der Beklagte zu 2. hätte Risiken erkennen und dafür Sorge tragen müssen, dass vor dem Entfernen der Platte eine ausreichende Absturzsicherung vorhanden gewesen sei, oder ausdrücklich Anweisung hätte erteilen müssen, die Abdeckung nicht zu entfernen, überzeuge nicht. Ob das Entfernen der Platte ohne anderweitige Absicherung branchenüblich und damit vorhersehbar sei, sei vor dem Hintergrund der Unfallverhütungsvorschriften zu bezweifeln. Auch der Beklagte zu 3. habe nicht grob fahrlässig gehandelt, wobei dahinstehen könne, ob er als Vorarbeiter auf der Baustelle tätig gewesen sei oder gegen § 16 ArbSchutzG oder gegen § 4 Abs. 3 BGV C 22 verstoßen habe. Jedenfalls hätten er und A den Sicherheitsmangel selbst wissentlich herbeigeführt. Mag es sich dem Beklagten zu 3. aufgedrängt haben, dass grundsätzlich jemand einen nicht abgesicherten Schacht hinunter stürzen könne, so hätte es weder ihm noch einem Dritten einleuchten müssen, dass ein berufserfahrener Kollege so unachtsam sei, auf einem Dach soweit rückwärts zu laufen, ohne dabei auf den ihm bekannten offenen Schacht zu achten und selbst ein Hinunterstürzen zu vermeiden. Zwar könne dem Beklagten zu 3. zur Last gelegt werden, dass er gemeinsam mit Herrn A die Holzplatte entfe...

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