Entscheidungsstichwort (Thema)

Private Unfallversicherung: Verkehrsunfall eines alkoholisierten Fußgängers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine die Leistungspflicht des Versicherers nach § 3 Nr. 4 AUB ausschließende Trunkenheit eines Fußgängers ist erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 2 Promille anzunehmen. Dass eine solche vorgelegen hat, ist vom Versicherer zu beweisen.

2. Dem Versicherer ist es unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs verwehrt, sich auf die Versäumung der Ausschlussfrist zu berufen, wenn er den Versicherungsnehmer nach Abschluss der Leistungsprüfung nicht nochmals auf die Frist des § 8 Abs. 2 AUB hinweist.

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Urteil vom 02.04.2015; Aktenzeichen 5 O 462/13)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 02.04.2015, Aktenzeichen 5 O 462/13, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das angefochtene und das vorliegende Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um das Bestehen von Leistungsansprüchen aus einer privaten Unfallversicherung in Höhe von insgesamt EUR 119.151,46, zusammengesetzt aus Krankenhaustagegeld in Höhe von insgesamt EUR 3.394,98 (166 × DM 40,00), Genesungsgeld in Höhe von insgesamt EUR 715,81 und Invaliditätsleistung in Höhe von EUR 115.040,67, infolge eines Unfall im Straßenverkehr, der dazu führte, dass der Kläger querschnittsgelähmt ist.

Der Kläger, der in den frühen Morgenstunden des ...01.2010 in Stadt1 auf der Landstraße zwischen Stadt2 und Stadt1 als Fußgänger unterwegs war, wurde von einem LKW mit vormontiertem Schneepflug erfasst, der ausweislich der Tachoscheibe des Fahrtenschreibers unmittelbar vor dem Unfall mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h fuhr. Die Fahrbahn war zur Unfallzeit schneebedeckt und die Sicht durch einen leichten Schneefall beeinträchtigt. Die weiteren Einzelheiten des Unfallhergangs, insbesondere das (Bewegungs-) Verhalten und die Laufrichtung des Klägers unmittelbar vor dem Unfallereignis, stehen zwischen den Parteien im Streit.

Der Kläger hat infolge einer auf seine schweren Verletzungen zurückzuführenden Amnesie weder an das eigentliche Unfallereignis noch an die letzten Stunden vor dem Unfall Erinnerungen. Der Kläger stand zum Unfallzeitpunkt unter Alkoholeinfluss. Aus den Krankenunterlagen ergibt sich ein Serum-Alkoholwert (Entnahmewert) von 2,02 g/l, wobei die exakte Entnahmezeit nicht dokumentiert ist; in Betracht kommen als Entnahmezeiten 07:03 Uhr oder 07:30 Uhr. Eine durch die Staatsanwaltschaft angeordnete Blutentnahme konnte aus medizinischen Gründen nicht vollzogen werden.

Der Kläger zog sich unfallbedingt erhebliche Verletzungen zu, nämlich insbesondere eine motorisch und sensible inkomplette Querschnittslähmung unterhalb C5, die mit einer Blasen- und Darmlähmung einhergeht. Wegen dieser und weiterer unfallbedingter Verletzungen, darunter eine Myelonkontusion HWK5 bis BWK1, Frakturen des Halswirbelknochens 6 und 7 sowie des Brustwirbelknochens 3, einer Rippenfraktur C1, einer Unterkieferfraktur, einer Tibiaschaftfraktur links, einer Nasenbeinfraktur sowie des Verlusts sämtlicher Vorderzähne, befand sich der Kläger vom ...01 bis 14.07.2010 in stationärer Krankenhausbehandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die ärztliche Bescheinigung des Klinikums Stadt1 vom 03.08.2010 (Bl. 41 dA) sowie den ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik1 in Stadt3 vom 11.08.2010 (Bl. 62 dA). Der Kläger ist wegen der unfallbedingten Querschnittslähmung mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 100 schwerbehindert, wobei die Voraussetzungen der Merkzeichen G, B, aG und H vorliegen.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Unfallversicherung, wobei wegen der Einzelheiten, insbesondere wegen der Definition des versicherten Unfallereignisses in A § 2 AUB, der vertraglich vereinbarten Leistungsausschlüsse in A § 3 AUB und der Ausschlussfrist betreffend die ärztliche Feststellung der Invalidität gem. § 8 Abs. 2 (1) AUB verwiesen wird auf die Ablichtungen des Versicherungsscheins (Bl. 169 f dA) sowie der maßgeblichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AUB) (Anlage K3, Bl. 33 ff dA; Bl. 172 dA).

Während die unfallbedingte Invalidität des Klägers unstreitig ist, streiten die Parteien im Wesentlichen darum, ob die neben dem Eintritt der Invalidität notwendige weitere Anspruchsvoraussetzung, nämlich die fristgemäße ärztliche Feststellung der Invalidität (§ 8 Abs. 2 (1) AUB), erfüllt ist bzw. ob es der Beklagten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Treuwidrigkeit (§ 242 BGB) verwehrt ist, sich auf eine etwaige nicht rechtzeitige Feststellung der Invalidität zu berufen, und ob die Beklagte sich auf das Vorl...

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