Entscheidungsstichwort (Thema)

Nicht erklärte Vorschäden führen nicht zwangsläufig zum Verlust des kompletten Ersatzanspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Validität von Indizien für gestellte Unfälle.

2. Liegt bei einem älteren, gewerblich genutzten VW-Transporter im Bereich der Kollisionsstelle ein kleiner abgrenzbarer Vorschaden vor, kann unter Umständen dennoch für die kompatiblen Schäden Ersatz verlangt werden. Das ist dann der Fall, wenn es sich um einen kleineren Schaden handelt, der durch Gebrauch entstehen kann und deshalb nicht zwingend dem Geschädigten aufgefallen sein muss.

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Urteil vom 05.06.2014; Aktenzeichen 28 O 162/12)

 

Tenor

Das Urteil des LG Darmstadt vom 5.6.2014 wird auf die Berufung der Klägerin abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 5.468,79 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.12.2011, sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 546,69 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.12.2011 zu zahlen.

Die weiter gehende Klage wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 16 %, die Beklagten 84 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Gegenstandswert für die Berufungsinstanz wird auf 5.587,74 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten zu 1) als Halter und Fahrer und der Beklagten zu 2) als Haftpflichtversicherer Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend. Die Klägerin behauptet, sie habe am ... August 2011 gegen 22:40 Uhr mit ihrem VW-Transporter den A in der Gemarkung Stadt1 befahren. Der Beklagte zu 1) sei mit seinem Pkw VW Golf mit einem Ausfuhrkennzeichen aus einer untergeordneten Straße aus Stadt2 kommend in den Kreisverkehr eingefahren. Er habe die Vorfahrt der Klägerin missachtet und es sei zur Kollision gekommen. Hierbei sei die gesamte rechte Seite des Transporters beschädigt worden. Die Klägerin hat einen Schaden von insgesamt 6.547,72 EUR geltend gemacht. Die Beklagte zu 2) ist dem Beklagten zu 1) als Streithelferin beigetreten und hat für diesen beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 2) behauptet, es liege ein manipulierter Verkehrsunfall vor. Die Schäden am klägerischen Fahrzeug seien nicht vollständig kompatibel mit den Ausmaßen des Beklagtenfahrzeugs. Es habe außerdem im Bereich des Schadens ein nicht behobener Vorschaden vorgelegen, der nicht erklärt worden sei.

Das LG hat nach Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens die Klage abgewiesen und dazu ausgeführt, dass nach der Beweisaufnahme feststehe, dass im Schadensbereich ein Vorschaden vorgelegen habe, der nicht aus dem Unfallereignis vom ... August 2011 herrühre. Der Sachverständige habe festgestellt, dass sich im Bereich des rechten Schwellers Einkerbungen befänden, die durch eine Krafteinwirkung von unten ohne Relativbewegung in Längsrichtung, mithin bei stehendem Fahrzeug entstanden seien. Die Klägerin habe die angesichts dieser Vorschäden bestehenden Bedenken gegen eine Zurechnung der festgestellten Schäden nicht durch substantiierten Sachvortrag zur Ursache der Vorschäden ausräumen können. Die Klägerin habe lediglich zwei sehr kleine Dellen an der Schwellerunterkante eingeräumt, im Übrigen die Eindrückungen aber nicht weiter erklärt. Deshalb seien die gesamten Schäden am klägerischen Fahrzeug nicht eindeutig dem Unfall zuzuordnen, so dass auch für die sich in das Unfallgeschehen einfügenden Schäden die Möglichkeit bestehe, sie könnten ihre Ursache in dem im Einzelnen nicht bekannten zeitlich vorangehenden Ereignis haben.

Hiergegen richtet sich die der Höhe nach beschränkte Berufung der Klägerin, mit der diese die vom Sachverständigen SV1 als unfallbedingt angesehenen Schadenspositionen sowie die übrigen unstreitigen Positionen weiter verfolgt. Die Beklagtenseite verteidigt das angefochtene Urteil.

II. Die Berufung ist in dem tenorierten Umfang begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten gemäß den §§ 7, 18 StVG, 115 PflichtVersG einen Anspruch auf Ersatz der ihr aus dem Unfall vom ... August 2011 entstandenen Schäden, soweit diese dem Unfallereignis zugeordnet werden können.

Aus der Anhörung der Parteien und auch dem Gutachten des Sachverständigen SV1 ergibt sich, dass der von der Klägerin geschilderte und von dem Beklagten zu 1) nicht in Abrede gestellte Unfallhergang sich so abgespielt hat, dass der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug die Vorfahrt des klägerischen Fahrzeugs in dem Kreisverkehr missachtet hat. Dadurch kam es zu dem Streifschaden am Fahrzeug der Klägerin. Nach dem ausführlichen und überzeugenden Gutachten des Sachverständigen SV1 sind sämtliche Schäden und Lackanhaftungen kompatibel mit der von den Parteien geschilderten Kollision und den darin verwickelten Fahrzeugen. Dass sich ein solcher Unfall an einem großen Straßenkreisel zugetragen hat, ist im Gegensatz zur Auffassu...

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