Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgasreinigung in Dieselfahrzeugen (hier Mercedes): Haftung des Herstellers unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung bei sog. "Thermofenster"

 

Leitsatz (amtlich)

Versieht ein Kraftfahrzeughersteller Dieselmotoren mit einer Abgasreinigungsanlage, die sich in bestimmten Temperaturbereichen abschaltet (sog. "Thermofenster"), kann darin grundsätzlich keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Fahrzeugerwerbers gesehen werden; dies gilt unabhängig davon, ob der Temperaturbereich dieses "Thermofensters" den Zulassungsvorschriften entspricht.

 

Normenkette

BGB § 826

 

Verfahrensgang

LG Hanau (Urteil vom 07.06.2018; Aktenzeichen 9 O 76/18)

 

Tenor

1.) Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 07.06.2018, Az. 9 O 76/18, abgeändert und die Klage abgewiesen.

2.) Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4.) Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen des Kaufs eines Mercedes Modell1 mit Dieselmotor.

Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 9.12.2016 von einem Mercedes-Händler das Fahrzeug Mercedes Modell1 Typ1 zu einem Kaufpreis von 59.500,- EUR als Neuwagen. Das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug weist nach dem Kaufvertrag die Abgasnorm Euro 6 auf; in dem Fahrzeug ist ein Motor des Typs OM 651 in der Nutzfahrzeug-Variante "B" verbaut. Ein Rückruf des Fahrzeugs durch das KBA erfolgte nicht.

Der Kläger verkaufte das Fahrzeug am 8.12.2017 mit einer Gesamtfahrleistung von 15.000 km zu einem Preis von 45.000,- EUR.

Mit Schreiben vom 28.12.2017 ließ der Kläger die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich Ersatz für gezogene Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auffordern.

Mit der Klage macht der Kläger Schadensersatz i.H.v. 13.868,54 EUR sowie Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1317,750 EUR geltend.

Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 07.06.2018, auf das gem. § 540 I ZPO wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, zur Zahlung von 10.930,- EUR nebst Zinsen sowie zum Ersatz der Anwaltskosten in Höhe von 1.317,57 EUR verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, Mitarbeiter der Beklagten hätten dem Kläger nach § 826 BGB in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt, indem der Motor des Fahrzeugs so konstruiert worden sei, dass er nur in der Prüfungssituation Stickoxidmengen ausgestoßen habe, die den Grenzwerten der Euro-6-Abgasnorm genügten und ansonsten der Stickoxidausstoß um ein Vielfaches höher gelegen habe. Diesen tatsächlichen Vorgang habe das Landgericht als unstreitig zu Grunde legen können, da die Beklagte bei verständiger Würdigung ihres Vorbringens diese Behauptung überhaupt nicht bestritten habe. Die Beklagte habe insoweit den klägerischen Vortrag nicht bestritten, dass unter alltäglichen Bedingungen auf der Straße ein erhöhter Stickoxidausstoß zu verzeichnen sei. Aus dem Vortrag der Beklagten sei zu erkennen, dass sie sich lediglich auf die Werte beziehe, die unter Prüfstandsbedingungen gemessen würden. Ihrem Vortrag könne nicht entnommen werden, dass sie tatsächlich behaupte, dass unter den Bedingungen im alltäglichen Gebrauch auf der Straße die Werte eingehalten würden, die nach den gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden müssten. Das Verhalten der Beklagten sei auch sittenwidrig. Die Konzeption einer Motorsteuerungssoftware, die dazu führe, dass das Fahrzeug in einer Prüfungssituation eine Menge an Stickstoffmonoxid produziere, die geeignet sei, die gesetzlichen Vorgaben zur Einordnung eine bestimmte Abgasnorm einzuhalten, während der Ausstoß an Stickstoffdioxid unter alltäglichen Fahrbedingungen auf der Straße um ein Vielfaches höher liege, verstoße gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Der Käufer eines Fahrzeugs erwarte, dass das zu erwerbende Fahrzeug nicht so konstruiert sei, dass es im Prüfmodus um ein Vielfaches geringere Stickoxidmengen emittiere als unter Realbedingungen verursacht würden. Abweichungen von den Laborwerten auf den Prüfstand dürften grundsätzlich nur in einem beschränkten Umfang vorkommen. Die Laborprüfung sollt dazu dienen, Annäherungswerte zu ermitteln, die dem tatsächlichen Verbrauch so gut wie möglich nahekämen.

Die Haftung der Beklagten für ihre Verrichtungsgehilfen folge aus § 831 BGB. Für eine Exkulpation nach § 831 Absatz ein S. 2 BGB fehle jeglicher Vortrag der Beklagten.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hanau vom 07.06.2018, Az. 9 O 76/18 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückz...

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