Leitsatz (amtlich)

Ein im Kindschaftsverfahren tätiger Sachverständiger ist auch ohne Anweisung durch das Familiengericht befugt, durch Befragung von Auskunftspersonen Anknüpfungstatsachen zu ermitteln, die er für die Erstellung des Gutachtens für bedeutsam hält.

Der Sachverständige ist verpflichtet, die so gewonnenen Informationen und ihre Quelle in seinem Gutachten anzugeben.

 

Normenkette

FamFG §§ 29-30, 163; ZPO §§ 42, 404a, 406

 

Verfahrensgang

AG Dieburg (Beschluss vom 08.11.2016; Aktenzeichen 50 F 661/15 SO)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf 2.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Das betroffene Kind entstammt der geschiedene Ehe der Beteiligten zu 3) (im Folgenden: Mutter) und des Beteiligten zu 4). Das AG prüft auf Betreiben des Jugendamts, ob das Wohl des Kindes bei einem weiteren Verbleib in der mütterlichen Obhut gefährdet wäre. Ein kinderpsychiatrischer Sachverständiger hatte in einem vorangegangenen Umgangsverfahren die Besorgnis geäußert, dass sich zwischen der Mutter und dem Kind eine symbiotische Beziehung entwickelt. Mit Beschluss vom 18.7.2016 hat das AG die Sachverständige... mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Diese hat am 24.8.2016 die Mutter per Textnachricht gefragt, ob der Vater über die bevorstehende Einschulung des Kindes informiert und zur Einschulungsfeier eingeladen war, und sich von der Mutter eine Schweigepflichtentbindungserklärung geben lassen, um Informationen von einem behandelnden Arzt und einer Beratungsstelle einzuholen.

Mit Schreiben vom 16.9.2016 hat die Mutter die Sachverständige wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die SMS-Anfrage habe keinen erkennbaren Zusammenhang zum Gutachtenauftrag und könne nur als versteckter Vorwurf verstanden werden. Zur Einholung von Informationen von Dritten sei die Sachverständige nicht befugt, solange keine richterliche Ermächtigung nach § 404a Abs. 4 ZPO vorliege. Bei einem Gespräch am 8.9.2016 habe die Sachverständige herabsetzende Äußerungen über die Mutter gemacht und erklärt, der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs, den die Mutter gegen den Vater erhebt, sei in 95 % solcher Fälle nur auf den Elternstreit zurückzuführen.

Die Sachverständige erklärt, wegen der offenen Frage sexueller Übergriffe habe sie eine von ihr herbeigeführte Konfrontation des möglicherweise traumatisierten Kindes mit dem Vater zunächst zurückstellen, aber eine sich eventuell bietende Gelegenheit zur Beobachtung der Interaktion des Kindes und des Vaters bei der Einschulungsfeier wahrnehmen wollen. Zur Nachfrage bei dem Arzt und der Beratungsstelle habe sie sich aufgrund der Schweigepflichtentbindung durch die Mutter berechtigt gesehen. Abschätzige Bemerkungen habe sie nicht gemacht. Dass 95 % aller Strafanzeigen wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs ergebnislos blieben, und von nichts anderen hätten sie gesprochen, sei eine Tatsache, die der Mutter bereits vor dem Gespräch mit der Sachverständigen bekannt gewesen sei.

In einer Entscheidung über die Beschwerde der Mutter gegen eine Umgangsregelung vom 7.9.2016 (6 UF 172/16) hat der Senat ausgeführt, ein Missbrauch des Kindes durch den Vater sei so unwahrscheinlich, dass keine Veranlassung bestehe, sein Umgangsrecht zu beschränken. Seit Ende September sind die Mutter und das Kind unbekannten Aufenthalts.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das AG das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt. Die Nachfrage hinsichtlich der Einschulung sei plausibel erklärt worden. Informationsbeschaffung bei Dritten begründeten keine Zweifel an der Unparteilichkeit. Die weiteren Ablehnungsgründe seien nicht glaubhaft gemacht.

In der form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde lässt die Mutter erneut ausführen, die Textnachricht enthalte einen versteckten Vorwurf. Wäre die Sachverständige neutral, hätte sie bei beiden Eltern angefragt. Die Sachverständige habe eigenmächtig ihren Auftrag erweitert. Ihr sei es beweisrechtlich untersagt, für die Erstattung des Gutachtens anderweitige Beweismittel heranzuziehen.

II. Die Beschwerde ist zulässig. § 29 FamFG sieht für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und damit auch für Kindschaftssachen vor, dass tatsächliche Entscheidungsgrundlagen im Wege des Freibeweises ermittelt werden. Allerdings eröffnet § 30 Abs. 1 FamFG dem Gericht auch die Möglichkeit, nach pflichtgemäßem Ermessen eine förmliche Beweisaufnahme durchzuführen. Die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens ist in der Regel als solche Beweisaufnahme zu verstehen (Heilmann/Heilmann, Rn. 3 zu § 163 FamFG; Zöller-Lorenz, 31. Aufl., Rn. 1 zu § 163 FamFG; Schlemm in Bahrenfuss, 2. Aufl., Rn. 2 zu § 163 FamFG). Daher finden - mit noch darzulegenden Einschränkungen - die Vorschriften der Zivilprozessordnung über den Sachverständigenbeweis und insbesondere über die Ablehnung eines Sachverständigen Anwendung, welche die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss eröffnen, durch den ein Ablehn...

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