Entscheidungsstichwort (Thema)

Alleinentscheidungsbefugnis. Auslandsreise. Angelegenheit mit erheblicher Bedeutung. einstweilige Anordnung. Dringlichkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Durchführung einer Urlaubsreise in die Türkei mit dem gemeinsamen Kind handelt es sich nach wie vor nicht um eine Angelegenheit des täglichen Lebens i.S.d. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB (Anschluss an OLG Frankfurt FamRZ 2016, 1595-1596).

2. Alleine auf die unsichere politische Situation in der Türkei gestützte Bedenken des anderen Elternteils rechtfertigen angesichts der inzwischen eingetretenen Stabilisierung der Lage zumindest in den Urlaubsgebieten am Mittelmeer jedoch nicht mehr, von einer Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis über die Reise nach § 1628 BGB auf den diese planenden Elternteil abzusehen.

 

Normenkette

BGB §§ 1628, 1687 Abs. 1 S. 2; FamFG § 49

 

Verfahrensgang

AG Wetzlar (Aktenzeichen 614 F 555/18)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den am 13.06.2018 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Wetzlar wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es sich um einen End- und nicht um einen Teil-Beschluss handelt und die erstinstanzliche Kostenentscheidung wie folgt abgeändert und neugefasst wird:

Die Gerichtskosten haben Antragstellerin und Antragsgegner jeweils hälftig zu tragen. Von der Anordnung einer Erstattung außergerichtlicher Kosten wird abgesehen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Der Verfahrenswert erster und zweiter Instanz wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die nach §§ 58 ff., 57 S. 2 Zf. 1 FamFG zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Ungeachtet der derzeit noch fehlenden Bescheidung des Ablehnungsgesuchs des Kindesvaters gegen den erstinstanzlichen Richter im dortigen Anhörungstermin vom 12.06.2018 war angesichts der besonderen Dringlichkeit der Angelegenheit - der geplante Urlaub beginnt am 29.06.2018 - bereits abschließend zu entscheiden, §§ 6 Abs. 1 FamFG, 47 Abs. 1 ZPO (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 32. A., § 47, Rz. 3).

Der Senat nimmt Bezug auf die im Ergebnis zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss. Auch im Lichte des Beschwerdevorbringens ist eine abweichende Entscheidung nicht veranlasst.

Gemäß § 49 Abs. 1 FamFG kann das Familiengericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist (Anordnungsanspruch) und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht (Anordnungsgrund). Beide Voraussetzungen sind hier zu bejahen.

Zunächst hat das Familiengericht den Antrag der Kindesmutter auf Verpflichtung des Kindesvaters (Antragsgegners) zur Erteilung seiner Zustimmung zu ihrer Ende Juni 2018 anstehenden Urlaubsreise mit den gemeinsamen Kindern in die Türkei zutreffend als Antrag auf Übertragung der Entscheidungsbefugnis über die Durchführung der Reise nach § 1628 BGB ausgelegt, §§ 133, 157 BGB. Denn die Eltern üben die elterliche Sorge für ... und ... gemeinsam aus und sind daher berechtigt und verpflichtet, die ihre Kinder betreffenden Entscheidungen in eigener Verantwortung und gegenseitigem Einvernehmen, also gemeinsam zu treffen. Können sie sich trotz entsprechender Bemühungen nicht einigen, hat die nur von einem Elternteil befürwortete Maßnahme grundsätzlich zu unterbleiben. Gemäß § 1628 BGB kann das Familiengericht in derartigen Situationen die Entscheidungsbefugnis aber dann auf einen Elternteil allein übertragen, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist und seinem Wohl am besten entspricht. Dem entspricht auch die Begründung des Sachantrags der Kindesmutter, in der diese ausdrücklich "eine Regelung hinsichtlich des bevorstehenden Urlaubs" begehrt.

Der Senat teilt ferner die Auffassung des Familiengerichts, dass eine Urlaubsreise in die Türkei in der derzeitigen Lage keine Angelegenheit des täglichen Lebens ist, über die trotz des bestehenden Mitsorgerechts die Kindesmutter als Obhut ausübender Elternteil gem. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB alleine entscheiden kann, sondern dass es der Zustimmung des mitsorgeberechtigten Kindesvaters bedarf. Die Durchführung einer Reise, die besondere Gefahren mit sich bringen kann, die mit dem Reiseziel zusammenhängen und die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehen, ist nicht von der Alleinentscheidungsbefugnis des § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB gedeckt (OLG Frankfurt FamRZ 2016, 1595-1596).

Von derartigen Risiken ist für die beabsichtigte Reise (noch) auszugehen. Die Türkei war in den letzten Jahren mehrfach Ziel terroristischer Anschläge, befindet sich in ihren östlichen Grenzregionen faktisch im Kriegszustand mit jenseits der Grenzen lebenden Bevölkerungsgruppen und befindet sich jedenfalls zurzeit im Ausnahmezustand, der eine Einschränkung des Rechtsschutzes im Falle von behördlicher Verfolgung zeitigt (vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962#content2)...

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