Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Jugendamt seine Bereitschaft zur Begleitung des Umgangs erklärt und das Familiengericht daraufhin, vom Jugendamt zu begleitende Elternumgänge geregelt, kann gegen das Jugendamt als umgangsbegleitende Institution kein Ordnungsgeld nach § 89 FamFG verhängt werden, wenn es die Umgangsbegleitung im Hinblick auf die Corona-Pandemie ausgesetzt hat, weil es seine Mitwirkungsbereitschaft jederzeit widerrufen kann.

2. Die Gründe des Widerrufs unterliegen keiner Nachprüfung durch das Familiengericht, so dass die umgangsbegleitende Person oder Institution - jedenfalls bei fehlender formeller Beteiligung am Verfahren - nicht Adressat einer vollstreckbaren Pflicht aus einem Umgangstitel sein kann.

 

Normenkette

BGB § 1684; FamFG §§ 87, 89; SGB VIII § 18

 

Verfahrensgang

AG Gießen (Aktenzeichen 244 F 492/20)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 09.06.2021; Aktenzeichen XII ZB 513/20)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert. Die Anträge der Beteiligten zu 2. werden zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Antragstellerin wird Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt D... bewilligt.

 

Gründe

I. Die Kindesmutter und Beteiligte zu 2. begehrt die Verhängung von Ordnungsgeld gegen das Jugendamt des Landkreises Gießen, den Beschwerdeführer, wegen des Verstoßes gegen die gerichtliche Umgangsregelung vom 14.11.2019.

Das am ...2017 geborene Kind X wurde zuletzt am 29.07.2019 durch das Jugendamt in Obhut genommen und lebt seitdem in einer Pflegefamilie. Mit Beschlüssen vom 13.06.2019 und 01.08.2019 entzog das Amtsgericht den Kindeseltern vorläufig die Teilbereiche der elterlichen Sorge Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Beantragung und Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen und übertrug diese Teilbereiche auf das Jugendamt des Landkreises Gießen als Ergänzungspfleger.

Nachdem die anwaltlich vertretene Kindesmutter am 07.11.2019 begehrte, im Wege einstweiliger Anordnung das Jugendamt zu verpflichten, regelmäßige Umgangskontakte der Kindesmutter mit ihrem Sohn X durchzuführen und zu gewährleisten, regelte das Amtsgericht mit Beschluss vom 14.11.2019 (AZ. 244 F 1782/19 EAUG) den Umgang dergestalt, dass den Kindeseltern das Recht zuerkannt wurde, mit ihrem Kind X jeweils wöchentlich donnerstags in der Zeit von 9 Uhr bis 11.30 Uhr begleiteten Umgang zu haben und regelte weiter, dass der Umgang in den Räumlichkeiten des Jugendamtes des Landkreises Gießen, Außenstelle Grünberg, .... in Begleitung eines Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin des Jugendamtes stattfindet. Die Pflegeeltern des Kindes hörte das Amtsgericht nicht an.

Dem Beschluss war eine mündliche Verhandlung vorausgegangen, in der sich das Jugendamt bereitfand, die bereits wöchentlich von 10.30 Uhr bis 11.30 Uhr im Jugendamt stattfindenden und durch eine Mitarbeiterin des Jugendamtes begleiteten Umgangskontakte der Kindeseltern mit X zeitlich zum Morgen hin auszuweiten.

In Ziffer IV. des Beschlusses wies das Amtsgericht die Eltern und das "beteiligte" Jugendamt darauf hin, dass gegen sie im Falle der Zuwiderhandlung gegen die Umgangsregelung Ordnungsmittel angeordnet werden können.

Im März 2020 teilte das Jugendamt den Kindeseltern mit, dass die ab dem 12.3.2020 angesetzten begleiteten Umgangstermine im Hinblick auf die Ansteckungsgefahren mit dem Corona-SARS-2 Virus nicht mehr stattfinden könnten.

Erstmals mit Schriftsatz vom 20.03.2020 und zuletzt mit Schriftsatz vom 22.05.2020 beantragte die anwaltlich vertretene Kindesmutter wegen zehnfacher Zuwiderhandlung gegen die beschlossene Umgangsregelung vom 14.11.2019 die Festsetzung eines empfindlichen Ordnungsgeldes gegen das Jugendamt, da es die Umgangskontakte seit dem 19.03.2020 - später korrigierte sie sich auf den 12.03.2020 - willkürlich aussetze.

Mit Schreiben vom 23.3.2020 informierte das Jugendamt per Telefax das Amtsgericht im Verfahren 244 F 1782/19 EAUG, dass im Hinblick auf die Corona-Pandemie begleitete Umgänge vorläufig nicht stattfinden könnten. Ein Abänderungsverfahren leitete das Amtsgericht nicht ein.

Das Jugendamt rechtfertigt die Aussetzung der Umgangskontakte seit dem 12.03.2020 mit den durch das Land und die Kreisverwaltung aufgrund der Corona-Pandemie erlassenen Auflagen. Die Behörde sei für den Publikumsverkehr geschlossen und die Mitarbeiter seien angewiesen worden, keine Termine mit Ausnahme der im Rahmen von § 8a SGB VIII erforderlichen Aufgaben wahrzunehmen. Weiterhin sei angeordnet worden, dass keine begleiteten Umgangskontakte stattfinden dürften. Die alternativ mit den Kindeseltern vereinbarten Angebote via Skype seien von den Eltern nicht wahrgenommen worden.

Mit angefochtenem Beschluss setzte das Amtsgericht gegen das Jugendamt wegen Zuwiderhandlung gegen seine Verpflichtung aus dem Beschluss vom 14.11.2019 ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 Euro fest. Es begründet seine Entscheidung damit, dass das Jugendamt seit dem 19.3.2020 die Umgangsko...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge