Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwesenheit. Beiordnung. Hauptverhandlung. Terminsgebühr. Verteidigerwechsel. Keine Terminsgebühr nach RVG-VV Nr. 4108 bei Ausbleiben in der Hauptverhandlung

 

Normenkette

RVG § 33 Abs. 3, § 56 Abs. 2, § 4 Abs. 3 S. 2; RVG Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2; RVG § 56 Abs. 2 Sätze 3, 2, § 33 Abs. 6; RVG-VV RVG Nr. 4108; RVG-VV Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2; ZPO §§ 547, 546; RVG-VV Nr. 4108

 

Verfahrensgang

LG Marburg (Entscheidung vom 16.08.2011; Aktenzeichen 4 Qs 56/11)

AG Marburg (Beschluss vom 24.06.2011; Aktenzeichen 55 Ds 3 Js 14334/10)

 

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Marburg vom 16.8.2011 und der Beschluss des Amtsgerichts Marburg vom 24.6.2011 werden aufgehoben.

Die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung des Rechtsanwaltes RA1 wird auf 341,53 € festgesetzt.

Der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag des Rechtsanwalts RA1 vom 22.2.2011 wird insoweit zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

1. In dem gegen den Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis geführten Strafverfahren wurde ihm Rechtsanwalt RA1 mit Beschluss vom 19.1.2011 als Verteidiger beigeordnet. Mit Schreiben vom 27.1.2011 meldete sich Rechtsanwalt RA2 für den Angeklagten und beantragte am 7.2.2011, die Beiordnung von Rechtsanwalt RA1 aufzuheben, da der Angeklagte sich einen anderen Verteidiger genommen habe. Rechtsanwalt RA1 erklärte am 17.2.2011, er habe keine Bedenken gegen einen Verteidigerwechsel. Am Tage der Hauptverhandlung, dem 21.2.2011, erklärte Rechtsanwalt RA2 etwa 20 Minuten vor deren Beginn gegenüber dem erkennenden Richter, dass er im Falle seiner Beiordnung bereit sei, auf alle Rechtsanwalt RA1 entstandenen Pflichtverteidigergebühren zu verzichten. Rechtsanwalt RA1, der sich im Gerichtsgebäude eingefunden hatte, wurde hierüber kurz vor Beginn der Verhandlung von dem erkennenden Richter unterrichtet und das weitere Vorgehen besprochen. Der dienstlichen Stellungnahme von Richter Dr. Ri1 ist zu entnehmen, dass Rechtsanwalt RA1 der Meinung war, seine Terminsgebühr sei bereits entstanden, er müsse hierfür nicht in der Hauptverhandlung erscheinen. Bei Aufruf der Sache war Rechtsanwalt RA1 nicht anwesend. Seine Beiordnung wurde aufgehoben und Rechtsanwalt RA2 dem Angeklagten beigeordnet. Der Angeklagte wurde rechtskräftig freigesprochen.

Mit Beschluss vom 11.5.2011 hat das Amtsgericht Marburg die von Rechtsanwalt RA1 geltend gemachte Vergütung um die Terminsgebühr zuzüglich 19 % Umsatzsteuer von 218,96 € gekürzt und zur Begründung darauf hingewiesen, die Terminsgebühr entstehe nur dann, wenn er sich als Verteidiger bei Aufruf der Sache im Sitzungssaal befinde und seine Anwesenheit im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentiert sei. Hiergegen legte Rechtsanwalt RA1 Erinnerung ein, worauf das Amtsgericht Marburg am 24.6.2011 den Beschluss vom 11.5.2011 dahingehend abänderte, dass zugunsten von Rechtsanwalt RA1 zusätzlich zu der bereits festgesetzten und zur Auszahlung gebrachten Vergütung eine weitere Vergütung in Höhe von 218,96 € festgesetzt wird.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Bezirksrevisors wies die 4. Strafkammer des Landgerichts Marburg mit Beschluss vom 16.8.2011 zurück und verwies zur Begründung u. a. drauf, dass der Gesetzgeber die hier gegebene Konstellation, dass der bestellte Pflichtverteidiger zum Termin im Gerichtsgebäude erscheine, dieses aber vor Aufruf der Sache wieder verlasse, weil ihm in verlässlicher Weise seitens des Gerichts mitgeteilt wurde, dass ein anderer Rechtsanwalt in der Sache zum Pflichtverteidiger bestellt werde, ersichtlich nicht bedacht habe. Ausgehend von Sinn und Zweck der in Vorbemerkung 4 Abs. 3 S. 2 RVG enthaltenen Ausnahmeregelung sei vom Entstehen einer Terminsgebühr auszugehen, denn der Termin habe aus Gründen, die der Rechtsanwalt nicht zu vertreten habe, jedenfalls für ihn nicht stattgefunden.

2. Die weitere Beschwerde des Vertreters der Staatskasse, die sich gegen die Zubilligung einer Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV RVG (für den Hauptverhandlungstag vom 21.2.2011) richtet, ist zulässig, da das Landgericht sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 6 RVG) und sie innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 RVG) erhoben worden ist.

Das Rechtsmittel ist begründet.

Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 6 Satz 2 RVG kann die weitere Beschwerde nur auf eine Verletzung des Rechts gestützt werden; die §§ 546, 547 ZPO geltend entsprechend. Da ein Fall des § 547 ZPO nicht vorliegt, muss eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden sein (§ 546 ZPO). Handelt es sich - wie hier - um die Auslegung der Teilnahme des Verteidigers an der Hauptverhandlung gemäß Nr. 4108 VV RVG, ist vom Senat nur zu prüfen, ob das Beschwerdegericht die Wertungsgrenzen erkannt und eingehalten hat und ob alle Bewertungsumstände berücksichtigt worden sind.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts steht Rechtsanwalt RA1 die von ihm geltend gem...

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