Leitsatz (amtlich)

1. Das Familiengericht kann nicht von der Zuständigkeitsregelung des § 88a SGB VIII abweichen.

2. Die Bindung des Familiengerichts an diese Zuständigkeitsregelung zur Bestimmung des örtlich zuständigen Amtsvormundes gilt auch, wenn aus Kindeswohlgründen eher die Bestimmung eines anderen Amtsvormunds in Betracht käme.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2), des Landkreises Y, werden der Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht - Biedenkopf vom 11.02.2020 aufgehoben und der Antrag des Beteiligten zu 3), des A-kreises, vom 19.12.2019 zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden für beide Instanzen nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren beträgt 1.000 EUR.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Beschwerdeführer, der Landkreis Y, wendet sich mit seiner Beschwerde gegen seine Bestellung als Amtsvormund für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling.

Der am XX.XX.20XX in Stadt1 in Syrien geborene X reiste im Februar 2016 mit seiner Tante und deren Familie ohne Begleitung seiner Eltern nach Deutschland ein. Xs Eltern leben voneinander getrennt, seine Mutter hat ihren Aufenthalt wohl noch in Syrien, eine Anschrift ist nicht bekannt, sein Vater und dessen neue Partnerin bzw. Ehefrau halten sich in dem Land1 auf. Es findet sporadischer Kontakt Xs mit seinem Vater per Telefon bzw. WhatsApp statt.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Langen vom 22.04.2016 wurde das Ruhen der elterlichen Sorge für X festgestellt und seine Tante wurde zum Vormund bestellt. Im Mai 2016 wechselte X mit der Familie der Tante in eine Erstaufnahmeeinrichtung in Stadt2, im August 2016 erfolgte die Zuweisung an den A-kreis. Im Herbst 2016 wurde X auf Wunsch der mit der Betreuung ihres Neffen überforderten Tante vom Jugendamt des A-kreises in Obhut genommen und in einer Jugendhilfeeinrichtung in Stadt3 untergebracht. Da X dort stark auffälliges Verhalten mit Impulsdurchbrüchen sowie Fremd- und Selbstaggressionen zeigte, musste er für eine Woche zwangsweise stationär in die Kinder- und Jugendpsychiatrie Stadt4 eingewiesen werden. Diagnostiziert wurden dort unter anderem eine Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem Verhalten sowie eine posttraumatische Belastungsstörung. Mit Beschluss des Amtsgerichts Büdingen vom 02.01.2017 wurden die Tante von X als Vormund entlassen und der A-kreis zum neuen Vormund bestellt. Im Anschluss wurde X in einer Wohngruppe der heilpädagogischen Kinder- und Jugendhilfe B GmbH aufgenommen. Aufgrund weiterer Aggressionsdurchbrüche und heftiger verbaler Drohungen Xs musste dieser ab Februar 2017 stationär in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Stadt5 behandelt werden. Die Behandlung wurde durch Mitarbeiter der Jugendhilfeeinrichtung B GmbH, insbesondere durch den Mitarbeiter Herrn Z1 begleitet, zu dem X kontinuierlich eine Beziehung aufbauen konnte und der sich schließlich bereit erklärte, X in Einzelbetreuung aufzunehmen. X lebt nunmehr seit seiner Entlassung aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie am 01.08.2017 im Haushalt von Herrn Z1 in Stadt6 und besucht dort mit Unterstützung durch einen Integrationshelfer die Grundschule. Konflikte im schulischen Rahmen zum Teil mit körperlichen Auseinandersetzungen kommen weiterhin vor. Persönliche Kontakte des Vormunds mit X erfolgten seit dem Wechsel des Mündels nach Stadt6 anlassbezogen, z. B. bei erforderlichen Schulgesprächen oder Behördengängen. Mit Beschluss vom 07.02.2018 wurde das Vormundschaftsverfahren an das für Stadt6 zuständige Amtsgericht Biedenkopf abgegeben.

Mit Schreiben vom 19.12.2019 beantragte der A-kreis beim Amtsgericht Biedenkopf im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthalt Xs seine Entlassung als Vormund und stattdessen die Bestellung des Landkreises Y. Dieser lehnte die Übernahme der Vormundschaft mit Schreiben vom 08.01.2020 ab. Daraufhin begründete der A-kreis seinen Antrag ergänzend damit, dass zum Wohl des Kindes eine Führung der Vormundschaft vor Ort erforderlich sei. Der Vormund könne möglicherweise eine Familienzusammenführung unterstützen, wozu Klärungen mit der Ausländerbehörde und weitere Tätigkeiten, insbesondere auch Gespräche mit X über seine Mutter, über die das Kind keine näheren Kenntnisse habe, nötig seien. Die bestehenden Schulprobleme könnten nicht allein durch den Einzelbetreuer im Rahmen der Alltagssorge gelöst werden. Der somit erforderliche und vom Gesetz gewünschte regelmäßige persönliche Kontakt des Vormunds mit dem Mündel könne von ihm aufgrund der räumlichen Entfernung und der in der Amtsvormundschaft üblichen Fallzahlen nicht in der gebotenen Häufigkeit gewährleistet werden. Aufgrund einer Umstrukturierung in der Behörde sei beim A-kreis nunmehr zudem ein Sachbearbeiter zuständig, den X noch gar nicht kennengelernt habe, sodass der Abbruch einer persönlichen Bindung einer Entlassung des bisherigen Vormunds nicht entgegenstehe. Der Landkreis Y hat auf die örtliche Zuständigkeitsbestimmung im Achten Sozialgesetzbuch und darauf hingewiesen, dass...

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