Entscheidungsstichwort (Thema)

Funktionelle Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Gerichtsstandsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist auch dann geboten, wenn eine allgemeine Zivilkammer und eine Spezialkammer (hier sog. Bankenkammer gem. § 72a Abs. 1 Nr. 1 GVG) jeweils rechtskräftig ihre funktionelle Zuständigkeit ablehnen.

2. Eine Streitigkeit aus Bank- und Finanzgeschäften liegt nicht vor, wenn die geltend gemachten Ansprüche nicht den in § 1 Abs. 1, Abs. 1a, Abs. 3 KWG geregelten Geschäften bzw. Dienstleistungen unterfallen.

3. Vorvertragliche Ansprüche in Gestalt der sog. Prospekthaftung i. e. S. sind nicht von den Regelungen des § 1 Abs. 1, Abs. 1a, Abs. 3 KWG erfasst.

 

Normenkette

GVG § 72a; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 348 Abs. 1 Nr. 2 lit. b

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-30 O 39/18)

 

Tenor

Die allgemeinen Zivilkammern des Landgerichts Frankfurt am Main werden als funktionell zuständige Spruchkörper bestimmt (§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO analog).

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb einer treuhänderischen Kommanditbeteiligung in Anspruch.

Nach der Klageschrift liegt dem folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Beklagten hätten - unter Mithilfe weiterer Personen - durch Vorbereitungshandlungen ab September 2011 im Januar 2012 einen Fonds aufgelegt, an dem die Klägerin im Dezember 2012 eine Beteiligung gezeichnet habe. Hierbei hätten die Beklagten keine Gewinnerzielung zu Gunsten der Anleger angestrebt, es sei ihnen ausschließlich auf die Erlangung der Anlegergelder zum eigennützigen Verbrauch angekommen. Sie hätten hierdurch - entsprechend einem "Schneeballsystem" - die laufenden Verbindlichkeiten aus zuvor von ihnen aufgelegten Fonds bedienen, ihren eigenen exorbitanten Lebensstil aufrechterhalten und den Mittätern und Helfern große Zuwendungen machen wollen. Schließlich sei der Ankauf weiterer Fondsgesellschaften mit diesen Geldern beabsichtigt gewesen.

Entsprechend dem Tatplan seien die eingesammelten Anlegergelder des Fonds von diesem als Darlehensgeber einer weiteren von den Beklagten initiierten Gesellschaft zur Verfügung gestellt worden, deren Geschäftsführer die Beklagten gewesen seien. Hierbei hätten die Beklagten in dem Prospekt des Fonds eine tatsächlich nicht gegebene Geschäftstätigkeit der Darlehensnehmerin vorgegaukelt und hierzu durch die Darlehensnehmerin verschiedene Immobilien und Objektgesellschaften erwerben lassen, die überwiegend renovierungs- bzw. sanierungsbedürftig gewesen seien. Diese Immobilien seien von der Darlehensnehmerin an den Fonds zu einem Kaufpreis weiterverkauft worden, der auf dem freien Markt nicht erzielbar gewesen sei.

Der Prospekt des Fonds sei fehlerhaft gewesen. Es hätten Hinweise auf die eigentliche beabsichtigte Verwendung der Anlegergelder gefehlt sowie darauf, dass die Beklagten aufgrund ihrer illegalen Verhaltensweisen bereits in der Vergangenheit als Geschäftsführer der Darlehensnehmerin ungeeignet gewesen seien. Ebenso sei im Prospekt pflichtwidrig nicht über erhebliche personelle und kapitalmäßige Verflechtungen des Fonds, seiner Organe und der Vertriebsgesellschaft aufgeklärt worden. Der Prospekt habe auch nicht darüber aufgeklärt, dass es fingierte und überteuerte Immobilieneinkäufe gegeben habe und erhebliche Beträge an die Vertriebsgesellschaft und dort Mittätern der Beklagten zugeflossen seien. Ebenso sei nicht darüber aufgeklärt worden, dass die mitgeteilte Mindestrendite tatsächlich nicht erzielbar gewesen sei und eine erhebliche Gefahr für die Anlegergelder bestanden habe.

Der Beklagten hafteten der Klägerin nach § 823 Abs. 2 i.V.m. 263 StGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a StGB und gemäß § 826 BGB (Bl. 23, 27 d.A.). Sie hafteten auch aus Prospekthaftung im weiteren Sinne. Sie seien prospektverantwortlich, da sie die eigentlichen Hintermänner, Drahtzieher und Gründer der X&Y Gruppe seien.

Die Klage ist beim Landgericht Frankfurt am Main bei der nach dem Turnus für die allgemeinen Zivilkammern zuständigen 30. Zivilkammer eingegangen. Diese hat in einem Vermerk vom 8.3.2018 (Bl. 133 d.A.) ausgeführt, es handele sich um eine Streitigkeit aus Bank- und Finanzgeschäften iSd § 72a GVG, die die Zuständigkeit der Bankenkammern begründe, da es sich um ein Finanzgeschäft iSd § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 KWG handele, nämlich eine Anlagevermittlung. Es handele sich bei der Beteiligung an dem Fonds, aus dem die Klägerin Ansprüche herleite, um eine Vermögensanlage iSd § 1 Abs. 2 des Vermögensanlagengesetz und damit gemäß § 1 Abs. 11 Satz 1 Nr. 12 KWG um ein Finanzinstrument iSv § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 KWG . Sie hat die Rückgabe der Akte an die Turnusstelle zur Zuteilung im Turnus der Bankenkammern veranlasst.

Die Sache wurde daraufhin der nach dem Turnus für die Bankenkammern zuständigen 25. Zivilkammer zugeleitet. Diese lehnte mit Verfügung vom 20.3.2018 (Bl. 134 d.A.) die Übernahme der Sache ab. Es handele sich nicht u...

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