Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnungszuweisung zwischen querschnittsgelähmten Ehegatten nach Scheidung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der nachehelichen Wohnungsüberlassung bei beiderseitiger körperlicher Behinderung der Ehegatten (hier: Querschnittslähmung)

 

Normenkette

BGB § 1568a

 

Verfahrensgang

AG Michelstadt (Beschluss vom 06.01.2022; Aktenzeichen 42 F 469/21 WH)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Anordnung der Überlassung der Wohnung ab dem 1. November 2022 gilt und die übrigen Anordnungen bis zum 31. Oktober 2022 zu erfüllen sind.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die beteiligten Ehegatten streiten um die Überlassung der Ehewohnung anlässlich der Scheidung.

Der 1965 geborene Antragsteller und die 1967 geborene Antragsgegnerin haben am XX.XX.2005 geheiratet und sind seit dem 8. Mai 2021 rechtskräftig geschieden. Die Ehe blieb kinderlos.

Die verfahrensgegenständliche Wohnung steht im Miteigentum der Ehegatten. Im Haus wohnt noch der Bruder des Antragstellers. Das Haus ist das Elternhaus des Antragstellers, er bewohnte die verfahrensgegenständliche Wohnung seit 1987, 2002 zog die Antragsgegnerin zu ihm. Die Beteiligten hatten das Haus im Jahr 2007 gemeinsam mit dem Bruder in einer Teilungsversteigerung von den Eltern erworben, 2014 wurde das Haus in Einheiten nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilt. Die betroffene Wohnung ist ca. 130 qm groß, verfügt über ein Wohn- und ein Schlafzimmer, eine Küche, einen Flur, einen Anbau und zwei behindertengerechte Bäder. Seit Abschluss eines Vergleichs in einem vorangegangenen Wohnungszuweisungsverfahren (vgl. Protokoll des Ortstermins vom 26. Mai 2020, AG Michelstadt, Az.: ...) nutzt der Antragsteller das Schlafzimmer und ein Bad und die Antragsgegnerin das Wohnzimmer und das weitere Bad.

Der Antragsteller ist seit 1984 querschnittsgelähmt. Er kann seine rechte Hand und seinen rechten Arm nicht und seine linke Hand nur eingeschränkt bewegen. Er ist auf tägliche Pflege in Form der Unterstützung bei der An- und Entkleidung und zum Teil beim Toilettengang angewiesen. Seine seit September 2018 beschäftigte Pflegekraft ist mittlerweile seine Lebensgefährtin. Gemäß dem bereits erwähnten, in einem Vorverfahren abgeschlossenen Vergleich übernachtet die Lebensgefährtin ebenfalls in der Wohnung unterhält daneben aber eine eigene Wohnung. Dies ist nach dem Vortrag des Antragstellers eine Zwischenlösung bis zum erstrebten Auszug der Antragsgegnerin.

Die Antragsgegnerin ist seit 1976 querschnittsgelähmt. Ihre Atemfunktion ist asthmatisch und mechanisch eingeschränkt, sie hat eine Harnblasen- und Rektumlähmung und leidet unter Schmerzen in allen Gelenken und der Wirbelsäule. Auch sie ist auf eine Pflegekraft angewiesen, benötigt aber keine Hilfe beim Toilettengang. Pflegeperson und Physiotherapie für die Antragsgegnerin sind am Wohnort der Antragsgegnerin.

Der Antragsteller bezieht eine Unfallrente von rund 1.100,00 Euro und eine gesetzliche Rente von rund 850,00 Euro sowie Pflegegeld. Die Antragsgegnerin bezieht eine gesetzliche Rente in Höhe von 625,00 Euro und erhält Pflegegeld in Höhe von 545,00 Euro, von dem sie die Kosten für die Pflegekraft bestreitet.

Restschulden aus einem im Zusammenhang mit dem Haus aufgenommenen und von dem Antragsteller bedienten Darlehen betragen 210.000,00 Euro. Monatlich sind Belastungen bei der Bank1 mit 665,00 Euro und 149,97 Euro zu bedienen. Betriebskosten für das gesamte Haus, von denen überwiegend (Ausnahme Strom monatlich ca. 115,00 Euro) ein hälftiger Anteil auf die Wohnung entfällt, betragen in der Summe rund 460,00 Euro.

Die Antragsgegnerin hat im Januar 2019 mitgeteilt, es sei perspektivisch klar, dass sie die Wohnung verlassen werde. Sie hat bisher keine Ersatzwohnung gefunden.

Der Antragsteller hat in erster Instanz die Auffassung vertreten, in stärkerem Maße auf die Nutzung der Wohnung angewiesen zu sein als die Antragsgegnerin. Er hat beantragt, ihm die Wohnung zur alleinigen Nutzung zuzuweisen und die Antragsgegnerin zur Räumung zu verpflichten. Zum Antrag im Einzelnen wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen und vorsorglich die Einräumung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Räumungsfrist begehrt. Sie ist der Auffassung, in gleichem Maße wie der Antragsteller auf die Nutzung der Wohnung angewiesen zu sein und hat darauf verwiesen, dass es ihr trotz umfassender Bemühungen nicht möglich gewesen sei, Ersatzwohnraum zu finden.

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen, der Antragsgegnerin am 11. Januar 2022 zugestellten, Beschluss die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller die verfahrensgegenständliche Wohnung ab dem 1. Juli 2022 zur alleinigen Nutzung zu überlassen, die Wohnung bis zum 30. Juni 2022 zu räumen und sämtliche Schlüssel herauszugeben sowie dem A...

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