Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zur Einlegung der weiteren Beschwerde gegen die Versagung der Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins sind auch die Miterben berechtigt, die von ihrem Recht zur Erstbeschwerde keinen Gebrauch gemacht haben.

2. Der Irrtum über die weitere politische Entwicklung im Verhältnis zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigt keine Anfechtung der Ausschlagungserklärung gem. § 119 II BGB.

 

Normenkette

BGB § 119 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Beschluss vom 25.03.1991; Aktenzeichen 7 T 77/91)

AG Gießen (Aktenzeichen 22 VI 392/71)

 

Tenor

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Wert des Verfahrens der weiteren Beschwerde beträgt 5.000,– DM.

 

Gründe

Der Erblasser war mit der im Mai 1970 verstorbenen … verheiratet. Aus dieser Ehe sind der am 17.07.1946 geborene Beteiligte zu 2) und die am 05.08.1950 geborene Beteiligte zu 1) hervorgegangen. Der Erblasser hatte in seinem privatschriftlichen Testament vom 15.09.1968 für den Fall des Vorversterbens seiner Ehefrau seine beiden Kinder zu Erben eingesetzt. Zum Nachlaß des Vaters, der in Gießen eine Buchhandlung betrieb, gehörte Grundeigentum in Hessen und Sachsen-Anhalt. Für den Erblasser war im Juli 1970 eine Abwesenheitspflegschaft eingeleitet worden. Der Abwesenheitspfleger hatte noch zu Lebzeiten des Erblassers mit dessen Gläubigern einen Liquidationsvergleich vorbereitet. Unter dem 02.07.1991 ordnete das Nachlaßgericht eine Nachlaßpflegschaft an mit dem Wirkungskreis der Verwaltung und – soweit erforderlich – der Verwertung des Nachlasses. Zum Nachlaßpfleger bestellte es den bisherigen Abwesenheitspfleger. Dieser gelangte zu der Überzeugung, der in der damaligen Bundesrepublik Deutschland vorhandene Nachlaß sei überschuldet. Deswegen haben die damals durch ihren Vormund vertretene Beteiligte zu 1) durch notariell beglaubigte sowie am gleichen Tag vormundschaftsgerichtlich genehmigte Erklärung vom 08.06.1971 und der Beteiligte zu 2) durch notariell beglaubigte Erklärung vom 09.06.1971 die angefallene Erbschaft gegenüber dem Nachlaßgericht aus jedem Berufungsgrunde ausgeschlagen. Die für die Beteiligte zu 1) abgegebene Ausschlagungserklärung ist am 09.06.1971, die Ausschlagungserklärung des Beteiligten zu 2), am 11.06.1971 bei dem Nachlaßgericht eingegangen. Auch die nach den Kindern berufenen Erben des Erblassers habe die Ausschlagung erklärt. Nachdem der Nachlaßpfleger den Nachlaß mit vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung verwertet und unter dem 12.03.1973 seine Schlußrechnung gelegt hatte, ist am 14.05.1973 die Nachlaßpflegschaft aufgehoben worden.

Die Beteiligte zu 1) hat durch notariell beglaubigte Erklärung vom 16.10.1990 – bei dem Nachlaßgericht eingegangen am 22.10.1990 – ihre Ausschlagungserklärung vom 08.06.1971, der Beteiligte zu 2) durch notariell beglaubigte Erklärung vom 07.12.1990 – bei dem Nachlaßgericht eingegangen am 13.12.1990 – seine Ausschlagserklärung vom 09.06.1971 wegen Irrtums im Hinblick auf den am 03.10.1990 erfolgten Beitritt der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland und die damit sich abzeichnende Veränderung der Verhältnisse hinsichtlich des Wertes und der Verwertbarkeit des in Sachsen-Anhalt gelegenen, zum Nachlaß gehörenden Grundbesitzes angefochten. Die Beteiligte zu 1) hat in notarieller Urkunde vom 16.10.1990 erklärt, sie und ihr Bruder hätten die Erbschaft jetzt angenommen, und gleichzeitig beantragt, ihre einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, der sie und ihren Bruder als Erben ihres Vaters je zur Hälfte ausweist. Das Nachlaßgericht hat diesen Antrag durch Beschluß vom 12.11.1990 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der von der Beteiligten zu 1) für die Anfechtung der Ausschlagung angeführte Irrtum sei ein rechtlich unbeachtlicher Irrtum über künftige Entwicklungen. Die gegen diesen Beschluß gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 12.03.1991 hat das Landgericht mit Beschluß vom 25.03.1991 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die mit Anwaltsschriftsatz vom 16.04.1991 eingelegte weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2).

Das an keine Frist gebundene Rechtsmittel der weiteren Beschwerde ist gemäß §§ 27, 29, 20 FGG zulässig.

Die Berechtigung der Beteiligten zu 1) zur Einlegung der weiteren Beschwerde ergibt sich daraus, daß durch den angefochtenen Beschluß ihre Erstbeschwerde zurückgewiesen worden ist (§ 29 Abs. 4 in Verbindung mit § 20 FGG; vgl. Keidel/Kuntze FGG 12. Aufl. § 27 Rn. 10; KG Rpfleger 1990, 365). Auch der Beteiligte zu 2) ist in bezug auf die weitere Beschwerde beschwerdebefugt, und zwar ungeachtet dessen, daß er selbst keinen Erbscheinsantrag gestellt und auch keine Erstbeschwerde eingelegt hat. Der Senat schließt sich insoweit der neueren und wohl vorherrschenden Ansicht an, wonach in den Fällen, in denen auf Antrag eines Miterben die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins versagt wird, auch denjenigen Miterben ein Beschwerderecht...

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