Leitsatz (amtlich)

Der gesetzliche Übergang von Unterhaltsansprüchen eines Kindes auf einen Träger öffentlicher Leistungen ändert nichts an der für die Geltendmachung der Ansprüche geltenden Regeln der Darlegungs- und Beweislast, wonach das Kind die volle Darlegungs- und Beweislast für seinen Unterhaltsbedarf und seine Unterhaltsbedürftigkeit trägt.

Der Bedarf leitet sich bei volljährigen Kindern, die noch keine eigene Lebensstellung erreicht haben, von den Einkommensverhältnissen der Eltern ab und beläuft sich bei eigenem Hausstand auf den sich aus Ziffer 13.1.2 der Unterhaltsgrundsätze des OLG Frankfurt am Main ergebenden Betrag. Hat ein volljähriges Kind bereits eine eigene Lebensstellung erlangt, ist diese für die Bemessung seines Bedarfs maßgebend. Seine Eltern kann ein volljähriges Kind allerdings auch dann nur auf Unterhalt in Anspruch nehmen, wenn es ihm trotz aller Bemühungen nicht gelingt, das Existenzminimum in Höhe des notwendigen Selbstbehalts für nicht Erwerbstätige zu sichern.

An die Beurteilung der Bedürftigkeit eines nicht in der Ausbildung befindlichen volljährigen Kindes sind strenge Anforderungen zu stellen. Für die Nutzung seiner Arbeitskraft gelten ähnliche Maßstäbe wie für die Haftung der Eltern gegenüber minderjährigen Kindern.

Für die Darlegung einer gesundheitsbedingten Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Kindes genügt die Berufung auf den Bezug von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII.

Eine vollständige Unfähigkeit zur Erzielung jeglichen Erwerbseinkommens ergibt sich aus dem Bezug von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII hingegen nicht. Vielmehr hat der Unterhaltsberechtigte darzulegen und zu beweisen, weshalb er nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit bis zu drei Stunden täglich in der Lage ist.

 

Normenkette

BGB § 1601 ff.; FamFG § 117 Abs. 1; SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1; SGB IV § 8 Abs. 1; SGB XII § 94 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Groß-Gerau (Aktenzeichen 71 F 605/17)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Dem Antragsgegner wird aufgegeben, an den Antragsteller für die Zeit vom 1.2.2015 bis zum 30.4.2016 rückständigen Unterhalt für seinen Sohn ... in Höhe von insgesamt 2.420,58 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die Kosten beider Rechtszüge werden dem Antragsteller zu sieben Zehnteln und dem Antragsgegner zu drei Zehnteln auferlegt.

Der Verfahrenswert wird für den zweiten Rechtszug festgesetzt auf 8.165,82 Euro.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten um Unterhaltsansprüche aus übergegangenem Recht für den Zeitraum vom 1.2.2015 bis zum 30.4.2016.

Im genannten Zeitraum gewährte der Antragsteller dem am x.y.1992 geborenen Sohn des Antragsgegners Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII, wegen deren Höhe auf die Aufstellung in der Antragsschrift vom 14.6.2017 Bezug genommen wird. Mit Rechtswahrungsanzeige vom 16.2.2015 unterrichtete der Antragsteller den Antragsgegner über die Hilfegewährung und den damit verbundenen Übergang der Unterhaltsansprüche des Hilfeempfängers und forderte den Antragsgegner zwecks Ermittlung der Höhe seiner Unterhaltsschuld zur Auskunft über seine Einkommensverhältnisse auf.

Der Sohn des Antragsgegners, der erstmals 2007 psychiatrisch behandelt wurde, stand während des gesamten Hilfebezugs als Folge einer psychischen Erkrankung unter gesetzlicher Betreuung. Er hatte nach Erlangen der mittleren Reife im Jahr 2010 keine weitere Ausbildung aufgenommen und bezog seit dem 1.10.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Vom 7.2.2011 bis zum 20.2.2011 wurde der Sohn des Antragsgegners wegen seiner psychischen Erkrankung stationär im Klinikum N. behandelt, von Januar bis März 2012 in der H. Klinik. Nachdem der Betreuer im Jahr 2014 ein ärztliches Attest vorgelegt hatte, wonach der Sohn des Antragsgegners krankheitsbedingt nicht zur Teilnahme an einer ihm vom Bildungswerk der hessischen Wirtschaft angebotenen berufsvorbereitenden Maßnahme in der Lage ist, holte der für die Leistungen nach dem SGB II zuständige Träger eine gutachterliche Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung Hessen nach §§ 44a Abs. 1 SGB II, 109a Abs. 3 SGB VI zur Frage der Erwerbsfähigkeit ein. In dem Gutachten der Deutschen Rentenversicherung Hessen vom 16.9.2014, welches als Anlage zur Antragsschrift vorgelegt worden ist, wurde der Sohn des Antragsgegners als nicht erwerbsfähig eingestuft, weil er "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit (länger als sechs Monate) außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen, des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein." Der Träger der Leistungen nach dem SGB II stellte seine Leistungen daher zum 1.11.2014 ein. Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch legte der durch seinen Betreuer vertretene Sohn des Antragsgegners ein ärztliches Attest der Fachärztin für Psyc...

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