Leitsatz (amtlich)

1. Im Falle eines nach der Geburt des kindlichen Kopfes infolge einer Schulterdystokie eintretenden Geburtsstillstandes ist die Anwendung einer Kristellerhilfe zur Förderung der Geburt erst erlaubt, wenn es zu einer Drehung der Schulter gekommen ist.

2. Aufgrund der unterbliebenen Dokumentation zur Anwendung einer Kristellerhilfe ergibt sich zugunsten des Anspruchstellers keine Beweiserleichterung dahingehend, dass von der Anwendung dieser Maßnahme bereits vor der Drehung der Schulter auszugehen ist, wenn jedenfalls feststeht, dass die im Falle einer Schulterdystokie erforderlichen Maßnahmen ergriffen wurden und nur ihre zeitliche Abfolge umstritten ist.

 

Verfahrensgang

LG Krefeld (Urteil vom 27.02.2003; Aktenzeichen 3 O 354/00)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 27.2.2003 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG K. wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagten vor der Vollstreckung in jeweils gleicher Höhe Sicherheit leisten.

 

Tatbestand

Die 1965 geborene Mutter des Klägers wurde als Drittgebärende am 5.5.1998 gegen 0.40 Uhr mit anhaltender Wehentätigkeit in der Frauenklinik des unter Trägerschaft der Beklagten zu 1) stehenden Klinikums K. aufgenommen.

Die Aufnahmeuntersuchung zeigte einen auf 3 cm eröffneten Muttermund bei noch stehender Fruchtblase. Unter CTG-Kontrolle erfolgte die Geburtsvorbereitung durch die als Hebamme in der Geburtsklinik angestellte Beklagte zu 3). Um 5.00 Uhr kam es bei nunmehr vollständig eröffnetem Muttermund zum Blasensprung. Danach erfolgte - nach einem von dem Beklagten zu 2) als dem die Geburt leitenden Arzt durchgeführten Dammschnitt - die Geburt des Kopfes des Klägers. Allerdings gelang seine vollständige Entwicklung nicht problemlos, weil es zu einer Verkantung der Schulter über der Symphyse gekommen war. Der Beklagte zu 2) rief als weitere Hebamme die Zeugin M.W. zu Hilfe. Aufgrund der nunmehr durchgeführten - zwischen den Parteien im Einzelnen umstrittenen - Maßnahmen konnte der Kläger um 6.51 Uhr geboren werden. In dem Geburtsprotokoll heißt es hierzu:

"6.51 Uhr Geburt eines großen reifen Knaben aus II. HHL nach medianer Episiotomie. Bei großem Kind erschwerte Schulterentwicklung mit Druck hinter Symphyse".

Der Kläger wog 4.400 g und hatte eine Länge von 56 cm sowie einen Kopfumfang von 38,5 cm. Die Apgar-Werte wurden mit 7,8 und 10 dokumentiert. Wegen des Verdachtes einer rechtsseitigen Schlüsselbeinfraktur wurde der Kläger um 10.40 Uhr seines Geburtstages in der angeschlossenen Kinderklinik vorgestellt. Dort wurde eine solche Fraktur zwar ausgeschlossen, allerdings diagnostizierte man eine rechtsseitige Plexusparese (Erb'sche Lähmung) und leitete eine physikalische Therapie ein. Die weitere Entwicklung des Klägers wird in einem Arztbrief der behandelnden Kinderärztin P. H. vom 4.6.1999 (GA 49) wie folgt beschrieben:

"... Die Plexusparese zeigte unter intensiver krankengymnastischer Betreuung eine deutliche Besserung der Funktionseinschränkung mit Zunahme der Muskelmasse im Schulterbereich rechts und des rechten Bizeps. Zur Zeit ist bei D. ein leichter Verlust an Muskelmasse in Schulter-Gürtel und Bizepsmuskulatur festzustellen. Die Pro- u.-Supination des rechten Armes ist nur eingeschränkt möglich, die Abduktion bis ca. 900."

Der Kläger macht den Beklagten ggü. Ersatzansprüche geltend. Er hat den Beklagten zu 2) und 3) vorgeworfen, angesichts der gegen 6.30 Uhr nach der Geburt seines Kopfes eingetretenen Schulterdystokie fehlerhaft gehandelt und dadurch die Plexusparese herbeigeführt zu haben. Er hat behauptet, der Beklagte zu 2) habe zur Behebung der Schulterdystokie gemeinsam mit der hinzugerufenen Hebamme die Beine der Mutter hochgehalten und dabei mit dem Ellebogen einen in dieser Situation unzulässigen starken Druck auf den Oberbauch ausgeübt, während die Beklagte zu 3) in unverantwortlicher Weise dergestalt heftig an seinem Kopf gerissen habe, das ein deutliches Knackgeräusch vernehmbar gewesen sei.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Geburtsleitung sei grob fehlerhaft gewesen, wobei ihm angesichts einer unzulänglichen Dokumentation der zur Behebung der Schulterdystokie eingeleiteten Maßnahmen Beweiserleichterungen zuzubilligen seien. Er hat sich ferner darauf berufen, dass sich die Ursächlichkeit des anzunehmenden Fehlverhaltens für die eingetretene Schädigung bereits nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises ergebe.

Zu den Folgen der Plexusparese hat der Kläger vorgetragen, es sei davon auszugehen, dass ein lebenslanger Restdefekt verbleiben und er dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen sein werde. Zudem seien ihm behinderungsbedingt zahlreiche sportliche und berufliche Betätigungen verschlossen.

Der Kläger hat neben der Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 100.000 DM und der Feststellung der Ersatzpflicht der B...

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