Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Schutzpflichten des Bauherrn und Auftraggebers gehört in entsprechender Anwendung der §§ 618, 619 BGB konkret auch die Pflicht, die Arbeitsräume, in denen der Werkunternehmer bzw. dessen Arbeitnehmer tätig sein soll, in einem sicheren Zustand zur Verfügung zu stellen.

2. Die grundsätzlich bestehende Möglichkeit des Bauherrn, seine ihn originär treffenden Sicherungspflichten abzubedingen bzw. diese aufgrund rechtsgeschäftlicher Regelungen auf einen Dritten zu übertragen, erfährt in (analoger) Anwendung der §§ 618, 619 BGB eine gravierende Einschränkung, wenn es um den Schutz des abhängigen Arbeitnehmers des mit dem Bauherrn über einen Werkvertrag verbundenen Auftragnehmers geht. In entsprechender Anwendung des § 618 BGB, der unmittelbar dienstvertragsrechtlich die Schutzpflichten des Dienstberechtigten gegenüber dem Dienstverpflichteten regelt, ergibt sich im Rahmen eines Werkvertrages die vertragliche Verpflichtung des Bauherrn gegenüber dem Auftragnehmer, die Baustelle in einem sicheren Zustand zur Verfügung zu stellen. Der Besteller kann diese gegenüber dem Werkunternehmer im Hinblick auf die Sicherheit der Baustelle bestehende Fürsorge-, Schutz- und Sicherungspflichten wegen der ebenfalls entsprechend anzuwendenden Regelung des § 619 BGB nur im Verhältnis zu einem selbständigen (Werk-) Unternehmer abbedingen oder einem Dritten auferlegen kann, jedoch nicht, soweit der Schutz des abhängigen Arbeitnehmers betroffen ist, der für den Werkunternehmer tätig geworden ist.

3. Zur Reduzierung bzw. zum Wegfall der Haftung des Bauherrn nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld.

 

Normenkette

BGB §§ 280, 619, 631

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Aktenzeichen 16 O 52/13)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15.11.2014 verkündete Grund- und Teilurteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal dahingehend abgeändert,

dass im dritten Absatz des Hauptsachentenors ein Mitverschuldensanteil in Höhe von 30% zu berücksichtigen ist und

im vierten Absatz des Hauptsachentenors (Feststellungsausspruch) ein Mitverschuldensanteil von 30% zu berücksichtigen ist.

Das weitergehende Rechtsmittel der Beklagten wird ebenso wie die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil des Landgerichts vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A) Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Sturzes auf einer Baustelle.

Die Beklagte ließ im Jahr 2009 das Schulzentrum O..., M..-P...Str....in W... wegen Schadstoffbelastung unter Beibehaltung des Schulbetriebes sanieren. Das Gebäude sollte bis auf den Rohbau entkernt und anschließend wieder hergestellt werden. Die Baumaßnahme wurde örtlich in drei Bauabschnitte eingeteilt. Während in einem Bauabschnitt gearbeitet wurde, fand in den übrigen Bauabschnitten noch der laufende Unterricht statt. Im Rahmen der Gesamtmaßnahme wurden zunächst Abriss- und Schadstoffsanierungsmaßnahmen durchgeführt. Hierbei beauftragte die Beklagte insbesondere die Streithelferin zu 4) der Beklagten, die A...Mü....& L..., deren beiden Gesellschafterinnen die Streithelferinnen zu 3 und 5 der Beklagten, also die L... G... KG und die Mü....U....GmbH, sind. Im Dezember 2009 schloss die Streithelferin zu 4) die Entkernungsarbeiten ab. In diesem Zusammenhang hatte die Beklagte die Firma M... M....& Co. Pgesellschaft mbH (nachfolgend M) mit der gesamten Planung und Bauleitung der Schadstoffsanierung beauftragt. Die Schadstoffsanierung erfolgte getrennt von den übrigen Planung-, Bauleitungs- und Bauausführungsleistungen. Die Firma M.. war auch im Rahmen ihres Tätigkeitsbereiches verantwortlich für die Überwachung der Verkehrssicherheit der Baustelle.

Die Bauplanung der wesentlichen Hochbauleistungen, die getrennt bzw. nachfolgend von der Schadstoffsanierung durchgeführt werden sollten, oblag der Streithelferin zu 1) der Beklagten, also der a...P.... N...& Partner GmbH. In den zwischen der Beklagten und der Firma a... geschlossenen schriftlichen Vertrag über die Objektplanung wurden auch die GMW Richtlinien der Stadt W... vom 1.2.2003 in der zweiten Auflage und die zusätzlichen Vertragsbedingungen der Beklagten (ZVB-B) einbezogen. Nachfolgend beauftragte die Beklagte mündlich die Streithelferin der Beklagten zu 1 mit der Bauleitung in der Leistungsphase 8. Darüber hinaus bestellte die Beklagte den Streithelfer der Beklagten zu 2, also das Ingenieurbüro F..., als Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator (SiGeKo) auf der Grundlage des Vertrages vom 28.10.2008 bzw. 7.11.2008. Während der Schadstoffsanierung und des Bauabschnitts "Umbau und Sanierung" oblagen dem SiGeKo unter anderen die Kontrolle der Einhaltung von Sicherheits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen bei der Zusammenarbeit der bauausführenden Unternehmen und das Sicherstellen der Informationen über sicherheitsrelevante Änderungen.

Am 14.12.2009 fand eine Baustellenbegehung durch einen Mitarbeiter des Streithelfers der Beklagten zu 2 (Ingenieu...

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