Leitsatz (amtlich)

1. Ein Down-Syndrom kann bei einer Leibesfrucht pränatal nur durch eine Fruchtwasseruntersuchung zuverlässig ausgeschlossen werden. Dabei haben eine Patientin und ihr Ehepartner das Recht, den Umfang der genetischen Diagnostik selbst zu bestimmen: Steht bei ihnen das Sicherheitsbedürfnis im Vordergrund, können sie sich zu einer risikobehafteten Amniozentese auch dann entschließen, wenn eine solche Maßnahme aus objektiver Sicht unvernünftig erscheint.

2. Ist einer schwangeren Patientin aufgrund von Gesprächen mit Dritten oder im Anschluss an eine Erörterung mit ihrem ständigen Frauenarzt bekannt, dass eine genetische Aberration im Sinne einer Trisomie 21 nur durch eine Fruchtwasseruntersuchung ausgeschlossen werden kann, wird das ihr zustehende Selbstbestimmungsrecht nicht in einer haftungsbegründenden Weise beeinträchtigt, wenn ein mit der pränatalen Diagnostik beauftragter Spezialist ihrem Wunsch nach einer ergänzenden Beratung nur oberflächlich nachkommt.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 249 ff., § 276 a.F., § 611

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Aktenzeichen 3 O 316/97)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 20.7.2000 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 20.000 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Sicherheiten können auch durch Bürgschaft einer deutschen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

 

Tatbestand

Die am 2.12.1964 geborene Ehefrau des Klägers war nach einer zuvor erlittenen Fehlgeburt im Jahre 1993 erneut schwanger. Der sie betreuende Frauenarzt ermittelte als voraussichtlichen Geburtstermin den 4.3.1994. Im September 1993 entnahm er der Patientin eine Blutprobe, um einen sog. „Triple-Test” zur Risikobewertung eines Down-Syndroms und eines Neuralrohrdefekts durchführen zu lassen. Mit der Untersuchung des Serums beauftragte er ein Institut für Pränataldiagnostik, an dem der Beklagte tätig ist. Der Test erbrachte ein unauffälliges Ergebnis: Das Risiko für ein fetales Down-Syndrom wurde angesichts der erhobenen Befunde auf 1 : 1.400 eingeschätzt. Angesichts eines erhöhten HCG-Wertes empfahl man der Patientin allerdings am 22.9.1993 eine Ultraschalluntersuchung und eventuell eine Amniozentese. Die vorgeschlagene Sonographie führte der Beklagte am 12.10.1993 in der 19. Schwangerschaftswoche durch; dabei fand er keinen Hinweis auf eine genetische Fehlbildung. In dem an den Frauenarzt der Patientin gerichteten Bericht vom 12.10.1993 heißt es:

„Zeitentsprechende Gravidität. Es ergeben sich zurzeit keine Hinweise auf eine sonographisch erfassbare Entwicklungsstörung. Die Patientin ist darüber aufgeklärt, dass ein vollständiger Ausschluss genetischer und nicht-genetisch-bedingter Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen durch diese Untersuchung nicht möglich ist.”

Am 21.2.1994 wurde die Tochter B. des Klägers durch Kaiserschnitt entbunden. Alsbald nach der Geburt fielen Hinweise auf ein Down-Syndrom auf; tatsächlich wurde aufgrund einer zytogenetischen Begutachtung am 7.3.1994 eine Trisomie 21 festgestellt.

Der Kläger macht die ihm persönlich zustehenden und die im Wege der Abtretung von seiner Ehefrau auf ihn übergegangenen Ersatzansprüche geltend. Er hat behauptet, der Beklagte habe die Sonographie vom 12.10.1993 nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt; andernfalls wären ihm bei dieser Gelegenheit die auf ein Down-Syndrom hindeutenden Symptome aufgefallen. Auf die Frage, ob sicherheitshalber eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt werden solle, habe er erklärt, eine solche Maßnahme sei als „Übertherapie” anzusehen. Diese Art der Belehrung sei der vorhandenen Risikosituation nicht gerecht geworden. Ihm und seiner Ehefrau sei es auf den sicheren Ausschluss einer genetischen Fehlbildung angekommen; bei einer zutreffenden Aufklärung hätten die Eheleute auf eine Amniozentese bestanden. Der Arztbericht vom 12.10.1993, in dem die nach der Ultraschalluntersuchung verbleibende Ungewissheit erwähnt ist, sei seiner Ehefrau nicht unverzüglich zugeleitet, sondern erst am 3.11.1993 anlässlich einer Vorsorgeuntersuchung bekannt gemacht worden. Bei einer Fruchtwasseruntersuchung wäre die genetische Fehlbildung frühzeitig aufgefallen; sodann hätten er – der Kläger – und seine Ehefrau sich zu einer Abtreibung entschlossen. Die Behinderung ihres Kindes sei mit einem erheblichen pflegerischen Mehraufwand verbunden. Insoweit könne er den doppelten Betrag des Regelunterhalts als Schadensersatz geltend machen.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 26.784 DM zu zahlen;

2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn beginnend mit September 1997 monatlich im Voraus jeweils zum 3. Werktag 698 DM zu zahlen;

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet sei, ihm allen materiellen Schaden zu ersetzen – soweit nicht vorstehend zugesprochen und so...

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