Leitsatz (amtlich)

1. Der Rechtsanwalt darf sich auf Erklärungen seines Mandanten über Fristen und Zustellungszeitpunkte selbst dann nicht verlassen, wenn dieser Volljurist ist, weil auch dieser auf die vertragsgerechte Pflichterfüllung des Rechtsanwalts vertrauen darf.

2. Schließt der Mandant später einen Vergleich, weil die Durchsetzung seines Begehrens infolge eines Fehlers seines eigenen Anwalts mit erheblichen rechtlichen Unwägbarkeiten behaftet ist, so unterbricht dies nicht den Kausalzusammenhang zwischen dessen Pflichtverletzung und dem Schaden.

3. Dem Mandanten kann bei Beauftragung eines Zweitanwalts zur Behebung eines erkannten oder für möglich gehaltenen Fehlers eines früheren Rechtsberaters ein schuldhafter Schadensbeitrag seines Zweitberaters als Mitverschulden anzurechnen sein (hier verneint).

 

Normenkette

BGB §§ 675, 611, 280; KSchG § 4; SGB IX § 88 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Urteil vom 09.04.2009; Aktenzeichen 6 O 369/07)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 9.4.2009 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des LG Düsseldorf abgeändert und festgestellt, dass die Beklagten zu 1) bis 16) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihr aus der Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1), welcher im Zeitraum vom 4.1.2005 bis zum 14.3.2005 bestand und die arbeitsrechtliche Vertretung der Klägerin durch die Beklagte zu 1) gegenüber der L. KG zum Inhalt hatte, entstanden sind oder entstehen werden, soweit die der Klägerin zustehenden Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten zu 1) bis 16) werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, die Klägerin von der Verpflichtung zur Zahlung von Anwaltshonorar an die Rechtsanwälte W. in Höhe eines Betrages von EUR 2.475,60 freizustellen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner. Die der Streithelferin entstandenen Kosten trägt diese selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner wegen defizitärer Beratung und Vertretung im Zusammenhang mit der vom vormaligen Arbeitgeber der Klägerin, der L. KG, erklärten Änderungskündigung vom 29.12.2004 in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die mit einem Grad von 50 % schwerbehinderte Klägerin arbeitete seit dem 1.10.1988 als Syndikusanwältin und ab 1992 als Leiterin der Rechtsabteilung bei der L. KG in D.. Am 4.11.2004 beantragte die L. KG beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zu einer Änderungskündigung. Daraufhin mandatierte die Klägerin den Rechtsanwalt Dr. F. in D.. Dieser nahm für die Klägerin mit Schriftsatz vom 16.12.2004 gegenüber dem Integrationsamt zu der beabsichtigten Kündigung Stellung. Dr. F. verstarb am 19.12.2004. Die Zustimmung des Integrationsamtes wurde durch Bescheid vom 22.12.2004 erteilt und in die Kanzlei von Dr. F. gesandt. Der dort in Bürogemeinschaft mit Dr. F. tätige Rechtsanwalt T., der von Dr. F. und mit Wissen und Wollen der Klägerin in die Bearbeitung der Angelegenheiten der Klägerin einbezogen war, informierte die Klägerin am 22.12.2004 über dessen Tod und über die erteilte Zustimmung des Integrationsamtes. Das Schreiben des Integrationsamtes wurde von der Kanzlei Dr. F. mit Kurzbrief vom 28.12.2004 an die damalige Wohnadresse der Klägerin in D. übersandt. An die Klägerin wurde dieses Schreiben weitergeleitet, da sie sich vom 8.12.2004 bis 20.1.2005 stationär in der Klinik R. in P. aufhielt. Sie erhielt es am 3.1.2005.

Die Zustimmung des Integrationsamtes vom 22.12.2004 ging bei der L. KG am 23.12.2004 ein. Unter dem 29.12.2004 sprach die L. KG gegenüber der Klägerin eine Änderungskündigung aus. Mit dieser sollte das Arbeitsverhältnis zum 30.6.2005 beendet werden. Der Klägerin wurde gleichzeitig angeboten, ab 1.7.2005 als Direktorin im Kreditressort zu unveränderten Vergütungsbedingungen weiter zu arbeiten. Das Kündigungsschreiben wurde der Klägerin in dreifacher Weise zugestellt. So warfen Mitarbeiter der L. KG das Schreiben am Vormittag des 29.12.2004 im Hausbriefkasten der Klägerin in D. ein. Weiterhin übersandten sie es an die Kanzlei Dr. F., in der es am 30.12.2004 einging. Zudem ließen sie das Kündigungsschreiben am 29.12.2004 durch einen Boten in der Klinik R. abgeben, wo es in das Postfach der Klägerin gelegt wurde und der Klägerin am 30.12.2004 zuging.

Am 4.1.2005 übertrug die Klägerin der Beklagten zu 1) telefonisch das Mandat zur Verteidigung gegen die Änderungskündigung. Die Klägerin und der sachbearbeitende Beklagte zu 2) vereinbarten, dass Widerspruch gegen die Zustimmung des Integrationsamtes eingelegt, die Zustimmung zur Än...

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