Leitsatz (amtlich)

1. Hat der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung eine ihm nahe stehende Person (hier seine jahrzehntelange Lebensgefährtin) bedacht, so legt die Lebenserfahrung für den Fall des vorzeitigen Wegfalls des von ihm eingesetzten Erben die Prüfung nahe, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments eine Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Bedachten gewollt hat oder gewollt hätte.

2. Die für die Einsetzung von Abkömmlingen geltende Auslegungsregel des § 2069 BGB, wonach bei Wegfall eines bedachten Abkömmlings im Zweifel anzunehmen ist, dass ersatzweise der betreffende Stamm berufen ist, ist auch bei dem Erblasser besonders nahe stehenden Personen nicht (analog) anzuwenden.

 

Normenkette

BGB §§ 2069, 2096

 

Verfahrensgang

AG Oberhausen (Beschluss vom 22.06.2011; Aktenzeichen 6 VI 1059/10)

 

Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird geändert. Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2. (UR-Nr ... des Notars L. in Oberhausen) wird zurückgewiesen.

Geschäftswert: 30.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Beteiligten zu 1. sind die Geschwister des kinderlos verstorbenen Erblassers, die Beteiligte zu 2. ist die Tochter der 1928 geborenen und am 15.7.2010 vorverstorbenen Lebensgefährtin des Erblassers, mit der dieser über 30 Jahre zusammengelebt hatte.

Am 30.11.1995 errichtete der Erblasser ein notarielles Testament (UR-Nr ... des Notars W. in Oberhausen), in dem es u.a. hieß:

"Ich setze hierdurch meine Lebensgefährtin Frau Z. K.,... zu meiner alleinigen Erbin ein.

Weiteres habe ich nicht zu bestimmen.

Den Wert meines Vermögens gebe ich mit ... an."

Unter Berufung auf das Vorversterben der Lebensgefährtin haben die Beteiligten zu 1. im November 2010 einen Antrag auf Erteilung eines sie als Miterben zu je 1/2 Anteil ausweisenden Erbscheins gestellt. Die Beteiligte zu 2. hat mit notarieller Urkunde vom 30.11.2010 als einziger Abkömmling der vorverstorbenen Lebensgefährtin des Erblassers auf Erteilung eines Alleinerbscheins zu ihren Gunsten angetragen.

Nach eingehender Beweisaufnahme hat das Nachlassgericht durch die angefochtene Entscheidung einerseits ausgesprochen, die zur Begründung des Erbscheinsantrages der Beteiligten zu 2. erforderlichen Tatsachen würden für festgestellt erachtet und der beantragte Erbschein werde erteilt werden, wobei die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses ausgesetzt und die Erbscheinserteilung bis zu dessen Rechtskraft zurückgestellt werde; andererseits hat es ausgesprochen, eine Entscheidung über den Erb-scheinsantrag der Beteiligten zu 1. werde gleichfalls zurückgestellt.

Gegen diesen ihnen am 29.6.2011 zugestellten Beschluss wenden sich die Beteiligten zu 1. mit ihrem am 21.7.2011 bei Gericht eingegangenen Rechtsmittel, dem die Beteiligte zu 2. entgegentritt.

Mit weiterem Beschluss vom 31.8.2011 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt.

Der Senat hat Auskünfte des die letztwillige Verfügung seinerzeit beurkundenden Notars eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Ermittlungen sowie wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrensstoffes wird auf die Nachlassakte und die Testamentsakte 6 IV 949/95 AG Oberhausen Bezug genommen.

II. Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1. ist als befristete Beschwerde gem. §§ 58 Abs. 1 i.V.m. 352 Abs. 1 Satz 1, 59 Abs. 1, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG zulässig und nach der vom Nachlassgericht ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe gem. § 68 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 FamFG dem Senat zur Entscheidung angefallen. Dieser hat nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der Durchführung eines Termins oder einer mündlichen Verhandlung abgesehen, weil solche bereits in erster Instanz vorgenommen worden und von einer erneuten Vornahme keine entscheidungserheblichen weiteren Erkenntnisse zu erwarten gewesen sind.

Die Beschwerde erweist sich auch als in der Sache begründet. Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2. - nur dieser ist Gegenstand der angefochtenen Entscheidung und Verfahrensgegenstand vor dem Senat - muss der Zurückweisung unterliegen.

1. Ausschlaggebend ist hier, wie auch vom Nachlassgericht zutreffend erkannt und von den Beteiligten ebenso gesehen, ob der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung aus dem Jahre 1995 einen Ersatzerben (§ 2096 BGB) bestimmt hat. Die für die Einsetzung von Abkömmlingen des Erblassers geltende Auslegungsregel des § 2069 BGB kann nicht - auch nicht analog - angewandt werden, wenn der Erblasser eine Person eingesetzt hat, die nicht zu seinen Abkömmlingen gehört. In einem solchen Fall ist jedoch durch Auslegung zu ermitteln, ob in der Einsetzung des Erben zugleich die Kundgabe des Willens gesehen werden kann, die Abkömmlinge des Bedachten zu Ersatzerben zu berufen. Nicht anders als in sonstigen Fällen ist dabei zunächst im Rahmen der sog. erläuternden Auslegung zu klären, ob ein wirklicher oder mutmaßlicher Wille des Erblassers für den Fall eines vorzeitigen Wegfalls des von ihm eingesetzten Erben im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments ...

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