Entscheidungsstichwort (Thema)

Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens; angemessener Zeitraum zur Stellung von Ergänzungsfragen an Sachverständigen

 

Leitsatz (amtlich)

Das selbständige Beweisverfahren ist mit der Übermittlung des schriftlichen Sachverständigengutachtens an die Parteien beendet, wenn weder das Gericht eine Frist nach § 411 Abs. 4 S. 2 ZPO setzt noch eine mündliche Erläuterung durch den Sachverständigen stattfindet.

Eine mündliche Erläuterung durch den Sachverständigen und damit eine Fortsetzung des Beweisverfahrens ist dann anzuordnen, wenn innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Übersendung des Gutachtens Einwendungen oder Ergänzungsfragen mitgeteilt werden.

Wann ein Zeitraum angemessen i.S.d. § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO ist, richtet sich nach den schutzwürdigen Interessen der Beteiligten und dem Umfang der verfahrensrechtlichen Interessen, wobei eine entscheidende Rolle spielt, ob es sich um ein schriftliches Gutachten handelt, das nach Umfang, Gehalt und Schwierigkeitsgrad einer sorgfältigen und damit zeitaufwendigen Prüfung bedarf und ob die betroffene Partei dazu sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen muss. Nur in Ausnahmefällen dürfte ein zeitlicher Abstand von mehr als 3 Monaten zwischen Zustellung des schriftlichen Gutachtens und Eingang des Antrages des Beteiligten auf Beantwortung von Ergänzungsfragen durch den Sachverständigen als angemessener Zeitraum i.S.d. § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO angesehen werden.

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Beschluss vom 07.01.2004; Aktenzeichen 1 OH 19/99)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 7.1.2004 abgeändert.

Die mit Schriftsatz der Antragsgegnerinnen vom 11.12.2003 gestellten Ergänzungsfragen sind an den Sachverständigen zu stellen. Die erforderliche Anordnung wird dem LG übertragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Das LG hat mit Beschluss vom 13.7.1999 die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens angeordnet. Antragstellerin ist die Grundbesitzverwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft M. Straße in N. Die Antragsgegnerin zu 2) war die Bauträgerin der Wohnanlage. Der beauftragte Sachverständige erstellte im März 2001 ein Gutachten und im April 2002 ein erstes Ergänzungsgutachten, dessen Erstellung das LG auf Antrag der Antragsgegnerinnen angeordnet hatte. Wiederum auf Antrag der Antragsgegnerinnen ordnete das LG im Oktober 2002 die weitere Ergänzung der vorliegenden Gutachten an. Das unter dem 30.7.2003 gefertigte zweite Ergänzungsgutachten wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerinnen am 13.8.2003 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 1.11.2003, bei Gericht eingegangen am 6.11.2003 kündigte der Bevollmächtigte der Antragsgegnerinnen ergänzende Fragen an den Sachverständigen an. Diese legte er mit am selben Tag bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 11.12.2003 vor und beantragte die ergänzende Befragung des Sachverständigen hierzu. Das LG wies mit der angefochtenen Entscheidung diesen Antrag zurück. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen, der die Kammer durch Beschluss vom 10.3.2004 nicht abgeholfen hat.

II. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen ist nach § 567 Abs. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insb. form- und fristgerecht eingelegt worden. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Das zwischen den Beteiligten schwebenden selbständige Beweisverfahren ist noch nicht beendet, so dass der Antrag der Antragsgegnerinnen vom 11.12.2003 auf Gutachtenergänzung und damit auf Fortführung des selbständigen Beweisverfahrens nicht zurückgewiesen werden durfte. Der Beschluss vom 7.1.2004 war dementsprechend aufzuheben. Das LG wird dem Verfahren im Hinblick auf die beantragte Ergänzung und Erläuterung des zweiten Ergänzungsgutachtens Fortgang zu geben haben.

Grundsätzlich ist das selbständige Beweisverfahren mit der Übermittlung des schriftlichen Sachverständigengutachtens an die Parteien beendet, wenn weder das Gericht eine Frist nach § 411 Abs. 4 S. 2 ZPO setzt noch eine mündliche Erläuterung durch den Sachverständigen stattfindet (vgl. BGH WM 2002, 873 f.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 4.6.2002 - 12 W 16/02, BauR 2002, 1734). Eine mündliche Erläuterung durch den Sachverständigen und damit eine Fortsetzung des Beweisverfahrens ist dann anzuordnen, wenn innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Übersendung des Gutachtens Einwendungen oder Ergänzungsfragen mitgeteilt werden (BGH WM 2002, 873 f.). Das Kriterium der Angemessenheit des Zeitraums nach § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO richtet sich nach den schutzwürdigen Interessen der Beteiligten und dem Umfang der verfahrensrechtlichen Interessen (OLG Hamburg, Beschluss vom 18.6.20003 - 4 W 45/02, IBR 2003, 582, mit Anm. Ulrich), wobei eine entscheidende Rolle spielt, ob es sich um ein schriftliches Gutachten handelt, das nach Umfang, Gehalt und Schwierigkeitsgrad einer sorgfältigen und damit zeitaufwendigen Prüfung bedarf und ob die betroffene Partei...

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