Leitsatz (amtlich)

Ein Erbe, der sich ausweislich seiner wegen vermeintlicher Überschuldung des Nachlasses erklärten Ausschlagung vertiefte Gedanken über die Zusammensetzung des Nachlasses nicht gemacht hat, kann, sofern sich im Nachhinein die Werthaltigkeit herausstellt, seine Erklärung gleichwohl wegen Irrtums über die Zusammensetzung des Nachlasses (Eigenschaftsirrtum) anfechten, wenn seine Entscheidung, die Erbschaft auszuschlagen, auf einer behördlichen Empfehlung (hier von der Gemeinde im Zusammenhang mit einem Absehen wegen unbilliger Härte von einer Kostenersatzforderung für die im Wege der Ersatzvornahme veranlasste Bestattung der Erblasserin gegebene Empfehlung, das Erbe auszuschlagen) beruhte.

 

Normenkette

BGB § 119 Abs. 1-2, § 1954 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

AG Duisburg-Hamborn (Aktenzeichen 5 VI 746/18)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert:

Das Nachlassgericht wird angewiesen, auf den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3 vom 18. Dezember 2018 den beantragten Erbschein zu erteilen.

Beschwerdewert: 35.000,00 EUR

 

Gründe

I. Die Beteiligten zu 1 bis 11 sind die Kinder der Erblasserin.

Die Stadt D veranlasste im Wege der Ersatzvornahme die Bestattung der Erblasserin. Mit Schreiben vom 24. Juli 2013 teilte sie mit, aufgrund der Angaben der Beteiligten zu 1, 3, 8 und 11 könne zu Gunsten der Beteiligten zu 1 bis 11 eine unbillige Härte anerkannt werden, weswegen von einer Kostenersatzforderung bezüglich der Bestattungskosten abgesehen werde. Weiter heißt es in dem Schreiben:

"Da diese unbillige Härte Sie jedoch nicht von der Erbschaft befreit, füge ich diesem Schreiben eine Kopie der Sterbeurkunde Ihrer Mutter bei und empfehle Ihnen das Erbe beim Nachlassgericht ... oder bei dem für Ihren Wohnort zuständigen Nachlassgericht auszuschlagen."

Daraufhin schlugen die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 die Erbschaft aus. Zur Begründung gab die Beteiligte zu 1 an, der Nachlass dürfte überschuldet sein. Die Beteiligte zu 2, 3 und 7 erklärten, die Zusammensetzung des Nachlasses sei ihnen nicht bekannt.

Nachdem der Beteiligte zu 12 mit Schreiben vom 9. August 2018 mitgeteilt hatte, der Wert des Nachlasses belaufe sich nach dem Verkauf von Grundeigentum und Begleichung aller Verbindlichkeiten auf ca. 35.000,00 EUR, erklärten die Beteiligten zu 1 bis 3 und 7 die Anfechtung ihrer Ausschlagungserklärungen. Zur Begründung führten die Beteiligten zu 3 und 7 an, sie hätten nicht gewusst, dass die Erblasserin über Grundeigentum verfügt habe. Die Beteiligte zu 1 machte geltend, sie habe angenommen, dass die Verbindlichkeiten den Wert des Grundeigentums überstiegen. Die Beteiligte zu 2 trug vor, sie habe annehmen müssen, der Nachlass sei überschuldet gewesen.

Am 18. Dezember 2018 hat die Beteiligte zu 3 Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge beantragt, der die Beteiligten zu 1 bis 11 als Erben zu je 1/11 Anteil ausweist.

Der Beteiligte zu 5 ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, die Anfechtungen seien unwirksam. Die ausschlagenden Miterben hätten die Ausschlagung erklärt, ohne überhaupt den Versuch unternommen zu haben, sich über den Nachlasswert zu informieren. Dadurch seien sie das Risiko eingegangen, dass der Nachlasswert höher sei als von ihnen angenommen. Hierin sei kein zur Anfechtung berechtigender Eigenschaftsirrtum zu sehen.

Mit Beschluss vom 18. Juli 2019 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag vom 18. Dezember 2018 zurückgewiesen, weil die Erbausschlagungen nicht erfolgreich angefochten worden seien, so dass der Erbschein nicht zu Gunsten sämtlicher im Erbschein aufgeführter Erben erteilt werden könne. Da die Beteiligten zu 2, 3 und 7 angegeben hätten, keine Angaben zum Nachlass machen zu können, könnten sie sich im Nachhinein nicht darauf berufen, sich bezüglich des Wertes geirrt zu haben. Dass das Bürger- und Ordnungsamt der Stadt D mitgeteilt habe, der Nachlass sei überschuldet, lasse sich dem Brief nicht entnehmen. Vielmehr habe sich das Amt allein auf die Angaben der Miterben bezogen. Bezüglich der Beteiligten zu 1 dürfte eine Vermutung der Überschuldung ohne echte Anhaltspunkte nicht ausreichen, um die Ausschlagung der Erbschaft wegen Irrtums anzufechten.

Dagegen wenden sich die Beteiligten zu 2 und 8 mit ihren Beschwerden. Die Beteiligte zu 2 macht geltend, da sie keine Auskunft über den Nachlass erhalten habe, habe sie sich auf die Aussage des Bürger- und Ordnungsamts verlassen müssen. Erst aufgrund der Tätigkeit des Beteiligten zu 12 habe sie erfahren, dass die Erblasserin Miteigentümerin einer Immobilie gewesen sei. Der Beteiligte zu 8 macht geltend, er wolle, dass alle im Erbscheinsantrag genannten Personen Erben würden.

Die Beteiligte zu 3 hat sich ebenfalls gegen die Entscheidung des Amtsgerichts beschwert und vorgetragen, dem Schreiben des Bürger- und Ordnungsamts sei ein Telefongespräch vorausgegangen, in dem ihr mitgeteilt worden sei, der Nachlass sei überschuldet. Ihre Familie sei immer verschuldet und auf Unterstützung angewiesen gewesen. Gerichtsvollzieher seien "ein und aus...

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