Leitsatz (amtlich)

1. Im schriftlichen Bußgeldverfahren muss der Verzicht auf eine Begründung des Beschlusses von den Verfahrensbeteiligten eindeutig, vorbehaltlos und ausdrücklich erklärt werden. Das bloße Schweigen auf eine Anfrage des Amtsgerichts, mit der angekündigt wird, es werde eine unterbliebene Äußerung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG als Verzicht auf eine Begründung werten, stellt keinen Verzicht auf eine Begründung dar.

2. Hat das Amtsgericht von einer Begründung des Beschlusses abgesehen, steht die Regelung des § 339 StPO, wonach die Staatsanwaltschaft die Verletzung von Rechtsnormen, die lediglich zugunsten des Betroffenen gegeben sind, nicht zu dem Zweck geltend machen kann, eine Aufhebung der Entscheidung zum Nachteil des Betroffenen herbeizuführen, der Rüge der Staatsanwaltschaft, es fehle der erforderliche Verzicht des Betroffenen, nicht entgegen.

 

Normenkette

OWiG § 72 Abs. 6 S. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; StPO § 339

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Duisburg zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die Stadt Duisburg hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit Bußgeldbescheid vom 19. November 2020 eine Geldbuße von 132 Euro festgesetzt und ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet.

Das Amtsgericht hat auf den Einspruch des Betroffenen im schriftlichen Verfahren (§ 72 OWiG) stattdessen eine Geldbuße von 350 Euro festgesetzt. Von einer Begründung des Beschlusses hat das Amtsgericht abgesehen.

Hiergegen richtet sich die zu Ungunsten des Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die insbesondere das Fehlen einer Begründung und die Nichtverhängung des Regelfahrverbotes beanstandet.

II.

Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG) und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts.

1.

Der angefochtene Beschluss ist auf die erhobene Sachrüge hin schon deshalb aufzuheben, weil er die nach § 72 Abs. 4 Satz 3 bis 5 OWiG vorgeschriebene Begründung nicht enthält und die Voraussetzungen für das Absehen von einer Begründung (§ 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG) nicht vorlagen.

a)

Auch in Bußgeldsachen ist ein Urteil beim Fehlen der Urteilsgründe im Falle einer zulässigen Rechtsbeschwerde schon auf die Sachrüge hin aufzuheben, weil das Rechtsbeschwerdegericht ein Urteil ohne Gründe keiner materiell-rechtlichen Prüfung unterziehen kann (vgl. OLG Bamberg ZfSch 2009, 175; OLG Düsseldorf [1. Senat für Bußgeldsachen] BeckRS 2010, 21267; OLG Hamm BeckRS 2012, 18142; NJOZ 2013, 1037). Gleiches gilt, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - im schriftlichen Verfahren (§ 72 OWiG) durch Beschluss getroffen wurde (vgl. OLG Saarbrücken VRS 137, 7 = BeckRS 2019, 25067; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 4934).

b)

Von einer Begründung des Beschlusses kann gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG nur dann abgesehen werden, wenn alle Verfahrensbeteiligten hierauf verzichten. Ein solcher Verzicht muss eindeutig, vorbehaltlos und ausdrücklich erklärt werden (vgl. OLG Saarbrücken a.a.O., Hettenbach in: BeckOK OWiG, 31. Edition 2021, § 72 Rdn. 48). Eine solche Erklärung liegt hier nur seitens der Staatsanwaltschaft vor, es fehlt eine Verzichtserklärung des Betroffenen und der Verteidigerin.

Das bloße Schweigen auf eine zu einem Verzicht gestellte Anfrage des Amtsgerichts, mit der angekündigt wird, es werde eine unterbliebene Äußerung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG als Verzicht auf eine Beschlussbegründung werten, stellt keinen Verzicht auf eine Begründung dar (vgl. OLG Hamm BeckRS 2014, 12982; Senge in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 72 Rdn. 67c; Bösert in: Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 22. Lfg. 2015, § 72 Rdn. 28a). Insoweit ist die Rechtslage mangels entsprechender Regelung anders als bei einem ausgebliebenen Widerspruch gegen eine Entscheidung im Beschlussverfahren, nachdem das Gericht den nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG erforderlichen Hinweis erteilt hat.

Vorliegend hat das Amtsgericht der Verteidigerin zusätzlich zu dem Hinweis nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG mit Schreiben vom 25. Januar 2021 mitgeteilt:

"Ferner ist beabsichtigt, in dem Beschluss auf den Bußgeldbescheid Bezug zu nehmen und von einer weiteren Begründung abzusehen (§ 72 Abs. 6 OWiG). Sie erhalten Gelegenheit, sich auch hierzu binnen zwei Wochen nach Zustellung zu äußern. Danach wird eine unterbliebene Äußerung als Zustimmung zur Bezugnahme und Verzicht auf eine Begründung gewertet."

Eine Äußerung der Verteidigerin erfolgte nicht. Die von dem Amtsgericht angenommene Zustimmungsfiktion, deren Erstreckung auf den Betroffenen persönlich ohnehin fraglich erscheint, ist mangels Rechtsgrundlage unwirksam. Das Amtsgericht durfte nicht von einer Begründung des Beschlusses absehen, da nicht alle Verfahrensbeteiligten hierauf verzichtet hatten.

Dieser Mangel war irrepa...

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