Leitsatz (amtlich)

Eine Geschäftsreise liegt dann vor, wenn das Prozessgericht entweder außerhalb der Kanzleigemeinde oder außerhalb der Wohngemeinde liegt; abzustellen ist auf den Ort der tatsächlichen Abreise. Eine Auslegung dahingehend, dass das Prozessgericht sowohl außerhalb der Kanzleigemeinde als auch außerhalb der Wohngemeinde liegen muss, ist nicht zulässig.

 

Normenkette

RVG-VV Vorbem. 7 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Mönchengladbach (Beschluss vom 15.07.2011; Aktenzeichen 5 T 121/11)

AG Erkelenz (Beschluss vom 21.04.2011; Aktenzeichen 14 C 389/09)

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde des Antragstellers vom 26.7.2011 (Bl. 66 ff. PKH-Heft) wird der Beschluss des LG Mönchengladbach vom 15.7.2011 (Bl. 61 ff.) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beschwerde der Landeskasse vom 28.4.2011 (Bl. 47f) gegen den Beschluss des AG Erkelenz vom 21.4.2011 (Bl. 41 ff.) wird zurückgewiesen.

Die Verfahren über die Beschwerde und die weitere Beschwerde sind gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die weitere Beschwerde des Antragstellers vom 26.7.2011 gegen den Beschluss des LG Mönchengladbach vom 15.7.2011 ist gem. § 56 Abs. 2, 33 Abs. 6 RVG kraft ausdrücklicher Zulassung zulässig und begründet. Mit Erfolg wendet sich die weitere Beschwerde gegen die im Ergebnis erfolgte Absetzung der zu Festsetzung angemeldeten Reisekosten des Antragstellers i.H.v. EUR 61,88. Diesbezüglich beruht die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf einem Rechtsfehler.

Der Vergütungsanspruch des Antragstellers folgt aus dem gem. § 48 Abs. 1 RVG maßgeblichen Beiordnungsbeschluss vom 30.12.2009 (Bl. 7f), der keine Einschränkung der Beiordnung "zu den Bedingungen eines am Ort des hiesigen Gerichts niedergelassenen Rechtsanwalts" enthält. Der Vergütungsanspruch des beigeordneten Anwalts bestimmt sich gem. § 48 RVG nach den Beschlüssen, durch die die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Der Beiordnungs- und Bewilligungsbeschluss ist als Kostengrundentscheidung bindend und einer materiell-rechtlichen Überprüfung grundsätzlich entzogen (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 28. Aufl., § 121 Rz. 13a, 42).

Grundsätzlich kann ein Anwalt auch im Rahmen der Prozesskostenhilfe diejenigen Mehrkosten erstattet verlangen, die dadurch entstehen, dass er seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozessgericht oder eine auswärtige Abteilung dieses Gerichts befindet; dies folgt aus dem Wegfall von § 126 Abs. 1 S. 2 BRAGO. Vorliegend sind die angegebenen Reisekosten auch für eine Geschäftsreise im Sinne der RVG VV-Vorbem. 7 Abs. 2 entstanden. Eine solche liegt nach dem Gesetz vor, wenn das Reiseziel außerhalb der Gemeinde liegt, in der sich die Kanzlei oder die Wohnung des Rechtsanwalts befindet.

1. Die Beteiligten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens haben insoweit unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich des Begriffs "oder". Der Antragsteller versteht dies alternativ, so dass eine Geschäftsreise dann vorliegt, wenn das Prozessgericht entweder außerhalb der Kanzleigemeinde oder außerhalb der Wohngemeinde liegt. Die Landeskasse und ihm folgend das Beschwerdegericht verstehen dies kumulativ und gelangen zu dem Ergebnis, dass eine Geschäftsreise nur dann vorliegt, wenn das Prozessgericht sowohl außerhalb der Kanzleigemeinde als auch außerhalb der Wohngemeinde liegt.

a. Die Grundsätze der deutschen Grammatik sprechen für die vom Antragsteller vertretene Ansicht. Danach drückt "oder" aus, dass es zwei (oder mehr) Möglichkeiten, Alternativen geben kann. Kann nur eine der Alternativen zutreffen, spricht man vom ausschließenden (exclusiven) "oder", das Verb erscheint im Singular. Können alle angegebenen Möglichkeiten zutreffen, spricht man vom einschließenden (inclusiven) "oder" (vgl. Duden, Deutsche Grammatik, 4. Aufl., Rz. 439, 504). Eine Bedeutung dahingehend, dass alle angegebenen Möglichkeiten (kumulativ) zutreffen müssen, kann allenfalls im Falle einer verneinenden Oder-Verknüpfung in Betracht kommen (aus "nicht A oder nicht B" wird "nicht (A und B)"). Eine solche Verneinung liegt hier aber nicht vor, vielmehr ist RVG VV-Vorbem. 7 Abs. 2 positiv formuliert ("Gemeinde, in der sich die Kanzlei oder die Wohnung.. befindet"). Die Verwendung des Verbs im Singular ("befindet") indiziert, dass es sich um ein exclusives "oder" handelt, was damit im Einklang steht, dass der Rechtsanwalt logischerweise nur entweder von seiner Kanzlei oder von seiner Wohnung aus angereist sein kann.

b. Aus der Entstehungsgeschichte lässt sich keine abweichende Bedeutung herleiten. Hier erfolgte eine Definition der Geschäftsreise erstmals in § 28 Abs. 1 S. 2 BRAGO in der ab 1.7.1994 geltenden Fassung (aufgrund Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 v. 24.6.1994, BGBl. I 1994, Nr. 38 v. 29.6.1994, S. 1325). Hierdurch sollte ausweislich der Gesetzesbegründung die in Rechtsprechung und Literatur zum Teil unterschiedlich beantwortete Frage, wann eine Geschäftsreise vorliegt, nunmehr eindeutig geregelt werden (vgl. Gesetz...

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