Verfahrensgang

AG Wuppertal (Entscheidung vom 01.03.2009; Aktenzeichen 9 Gs 232/09)

 

Tenor

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Wuppertal vom 1. März 2009 (9 Gs 232/09) in Verbindung mit dem Beschluss des Landgerichts Wuppertal vom 6. August 2009 (25 Ks 11/09) wird aufgehoben.

 

Gründe

I.

Der Angeschuldigte befindet sich seit dem 1. März 2009 in Untersuchungshaft.

In dem Haftbefehl des Amtsgerichts Wuppertal vom 1. März 2009, der vom Landgericht mit Beschluss vom 6. August 2009 ergänzt worden ist, und in der Anklageschrift vom 15. Juli 2009 wird dem Angeschuldigten zur Last gelegt, versucht zu haben, seine Ehefrau E.S. zu töten und eine gefährliche Körperverletzung zu ihrem Nachteil begangen zu haben. Der Angeschuldigte soll in der Nacht zum 28. Februar 2009 seine Ehefrau in deren Wohnung in M. mit einer Pistole des Kalibers 7,65 mm im Bereich des linken Ohres in den Kopf geschossen haben, wobei die Kugel auf der anderen Seite des Hinterkopfes wieder austrat. Die Geschädigte erlitt eine Verletzung des Stammhirns und ist seit der Tat pflegebedürftig.

In der Anklageschrift heißt es unter anderem, der Angeschuldigte habe sich dahin eingelassen, er habe die Kugel aus einer Entfernung von etwa 10 cm vom Kopf seiner Ehefrau abgefeuert; er habe die Geschädigte nur erschrecken und sie weder verletzen noch töten wollen.

Da sich der Angeschuldigte nunmehr seit mehr als sechs Monaten in Untersuchungshaft befindet, ist die Sache gemäß § 122 Abs. 1 StPO dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft vorgelegt worden.

II.

1.

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist der Angeschuldigte eines versuchten Totschlags und einer gefährlichen Körperverletzung dringend verdächtig.

Nach seiner eigenen Einlassung hat er der Geschädigten aus einer Entfernung von etwa 10 cm mit einer Pistole in den Kopf geschossen. Insbesondere die geringe Entfernung spricht dafür, dass er den Tod der Geschädigten zumindest billigend in Kauf genommen hat. Wegen des dringenden Tatverdachts verweist der Senat ergänzend auf seinen Beschluss vom 20. Juli 2009 (III-3 Ws 296/09), mit dem die weitere Haftbeschwerde des Angeschuldigten verworfen worden ist, und auf den mit der weiteren Beschwerde angefochtenen Beschluss des Landgerichts vom 15. Juni 2009. Neue, den Angeschuldigten entlastende Umstände haben sich nicht ergeben.

2. Es besteht der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch ohne Vorliegen eines Haftgrundes iSd § 112 Abs. 2 StPO zulässig. Diese Regelung gilt auch für die versuchte Tat (vgl. BGHSt 28, 355). Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 19, 342, 350) ist für § 112 Abs. 3 StPO das Vorliegen von Umständen ausreichend, welche die Gefahr begründen, dass ohne die weitere Inhaftierung des Angeschuldigten die alsbaldige Ahndung der Tat gefährdet sein könnte. Dies ist hier der Fall. Der Angeschuldigte muss mit einer langjährigen Freiheitsstrafe rechnen. Angesichts dieser hohen Straferwartung und der fehlenden familiären Bindungen besteht die Gefahr, dass er sich dem Verfahren entzieht, wenn er auf freien Fuß käme.

3. Die Voraussetzungen für den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft liegen jedoch nicht vor.

Das Verfahren ist nach Erhebung der Anklage am 20. Juli 2009 nicht entsprechend dem für Haftsachen geltenden besonderen Beschleunigungsgebot gefördert worden. Eine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage ist bisher nicht ergangen und steht auch nicht unmittelbar bevor; ein Hauptverhandlungstermin ist bisher nicht bestimmt worden.

Die bloße unsichere Aussicht, dass die Hauptverhandlung für den Fall der Eröffnung am 11. November 2009 beginnen könnte, genügt dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen nicht, zumal es zurzeit überwiegend wahrscheinlich erscheint, dass die Verhandlung nicht - wie vom Landgericht zunächst beabsichtigt - am 11. November 2009, sondern deutlich später stattfindet.

a) Nach § 121 StPO darf, solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder auf eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.

Der in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfene Tat herbeizuführen (vgl. BVerfGE 36, 264; StV 2007, 254; StV 2007, 644; StV 2008, 421). Deshalb ist es von Verfassungs wegen geboten, dem Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten die Freiheitsbesc...

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