Leitsatz (amtlich)

Die von der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren, wozu auch die Pauschgebühr gehört, sind nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG insgesamt auf die Wahlverteidigergebühren anzurechnen, die der Pflichtverteidiger von dem Beschuldigten verlangen kann.

Es kommt nicht in Betracht, die jeweils vorteilhaften Elemente aus dem Gebührenrecht des Pflichtverteidigers und des Wahlverteidigers im Sinne einer Meistbegünstigung selektiv herauszugreifen und miteinander zu kombinieren ("Rosinentheorie").

 

Normenkette

StPO §§ 464b, 467 Abs. 1; RVG §§ 51, 52 Abs. 1 S. 2

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Der Antrag des Zessionars Rechtsanwalt A. auf Festsetzung von Wahlverteidigergebühren und Auslagen gegen die Staatskasse wird abgelehnt.

Der Zessionar Rechtsanwalt A. trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

I.

Rechtsanwalt A. war in dem Loveparade-Verfahren als einer der Pflichtverteidiger des früheren Angeklagten B. bestellt.

Die 6. große Strafkammer des Landgerichts Duisburg hat das Verfahren gegen den früheren Angeklagten B. mit Beschluss vom 4. Mai 2020 nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt und angeordnet, dass die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last fallen.

Rechtsanwalt A. hat als Pflichtverteidiger Terminsgebühren in Höhe von 60.928 Euro (netto) aus der Staatskasse erhalten. Ferner ist ihm anstelle der gesetzlichen Grund- und Verfahrensgebühren (Nr. 4100, 4104, 4112 VV RVG) gemäß § 51 RVG eine Pauschgebühr in Höhe von 70.000 Euro (netto) bewilligt und ausgezahlt worden.

Aus abgetretenem Recht des früheren Angeklagten B. hat Rechtsanwalt A. als Differenzgebühr eines Wahlverteidigers für 182 Verhandlungstage zusätzliche Terminsgebühren von jeweils 304 Euro (netto), d. h. rechnerisch insgesamt 55.328 Euro (netto), nicht wie in dem Antrag als Summe zugrunde gelegt 55.116 Euro (netto), zur Festsetzung gegen die Staatskasse angemeldet.

Ferner hat er für den letzten Verhandlungstag, den er nicht als Pflichtverteidiger abgerechnet hat, aus abgetretenem Recht des früheren Angeklagten B. einen Betrag von 560 Euro (netto) als Terminsgebühr eines Wahlverteidigers sowie Auslagen (Fahrtkosten, Abwesenheitsgeld, Übernachtungskosten) in Höhe von insgesamt 610,72 Euro (netto) zur Festsetzung gegen die Staatskasse angemeldet.

Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat mit Beschluss vom 30. Oktober 2020, unter Übernahme des Rechenfehlers bei dem Betrag von 55.116 Euro (netto), antragsgemäß insgesamt 66.981,20 Euro brutto (55.116 Euro + 560 Euro + 610,72 Euro zzgl. 10.694,48 Euro Umsatzsteuer) nebst Zinsen gegen die Staatskasse festgesetzt.

Gegen diesen Festsetzungsbeschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatskasse, nach deren Auffassung der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht besteht, da die Pflichtverteidigergebühren insgesamt anzurechnen seien.

II.

Das nach § 464b Satz 3 u. 4 StPO, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG zulässige Rechtsmittel der Staatskasse hat Erfolg.

Über die sofortige Beschwerde hat der Senat in der für Strafsachen vorgeschriebenen Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden (vgl. statt vieler: OLG Düsseldorf [3. Strafsenat] NStZ-RR 2012, 160; OLG Stuttgart JurBüro 2018, 146).

1.

Dem früheren Angeklagten B. stand aus der dem Grunde nach getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung der Strafkammer (§ 467 Abs. 1 StPO) der Höhe nach kein Anspruch auf Erstattung von Wahlverteidigergebühren gegen die Staatskasse zu, da die insgesamt gezahlten Pflichtverteidigergebühren die Wahlverteidigergebühren (weit) übersteigen. Demgemäß kann der Zessionar Rechtsanwalt A. den geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht aus abgetretenem Recht herleiten.

Ein gegen die Staatskasse gerichteter Erstattungsanspruch des früheren Angeklagten B. konnte nur in dem Umfang bestehen, in dem Rechtsanwalt A. als Pflichtverteidiger von dem Mandanten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen konnte. Der Anspruch gegen den Mandanten ist indes nach § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG insoweit entfallen, als die Staatskasse Gebühren an den Pflichtverteidiger gezahlt hat.

Der Sinn dieser Regelung besteht darin, dass der Pflichtverteidiger von dem Beschuldigten nicht mehr erhalten soll als ein Wahlverteidiger (vgl. OLG Jena Rpfleger 2010, 107 = BeckRS 2009, 86298; Volpert in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2017, § 52 Rdn. 30; Kroiß in: Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, § 52 Rdn. 30). Anzurechnen sind alle aus der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren, wozu auch eine Pauschgebühr nach § 51 RVG zählt (vgl. OLG Köln JurBüro 2002, 595 = Rpfleger 2003, 97; Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, § 52 Rdn. 15).

Um den Zweck des § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG zu erreichen, dass ein Beschuldigter insgesamt nicht mehr als die Gebühren eines Wahlverteidigers schuldet, sind die von der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren in vollem Umfang anzurechnen (vgl. OLG Hamburg Rpfleger 1999, 413 = JurBüro 2000, 205; OLG Köln B...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge