Leitsatz (amtlich)

1. Zum Erfordernis der Unterschrift unter die schriftlich abgesetzte Entscheidung der Vergabekammer und zu den Rechtsfolgen eines Unterschriftsmangels (im Anschluss an BGH VergabeR 2001, 286 und OLG Düsseldorf VergabeR 2001, 154; 2002, 89).

2. Für die rechtliche Einordnung eines (typengemischten) Energie- oder Anlagen-Contracting als Dienstleistungs-, Liefer- oder Bauleistungsauftrag ist entscheidend, wo bei einer an einem objektivierten Maßstab auszurichtenden wertenden Betrachtung nach dem Willen der Vertragsbeteiligten der rechtliche und wirtschaftliche Schwerpunkt des Vertrages liegen soll. Die rechtliche Einordnung entzieht sich einer generalisierenden Bewertung; sie ist vielmehr nach den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden rechtlichen und wirtschaftlichen Umständen vorzunehmen. Hierbei vermitteln die Wertanteile der Bau-, Dienst- und Lieferleistungen im Regelfall lediglich Anhaltspunkte sowie eine erste Orientierung, es sei denn, sie weisen durch ihren objektiv deutlich überwiegenden Anteil den Bauleistungen oder den Liefer-/Dienstleistungen eindeutig den Auftragsschwerpunkt zu.

3. Ist allein aus den auf die Bauleistung und die Liefer- und Dienstleistung entfallenden Teil-Auftragssummen noch keine eindeutige und abschließende Klarheit über die rechtliche Einordnung des Auftrags zu erlangen, so gewinnen im Sinne einer möglichen Prägung des Gesamtauftrags die übrigen Elemente, namentlich die Verteilung der mit einer Auftragsdurchführung verbundenen Risiken auf die Beteiligten und deren Gewichtung sowie der Umstand an Bedeutung, wo in rechtlicher Hinsicht der Auftrag seinen Schwerpunkt hat.

4. Hat die Vergabestelle in Folge rechtsfehlerhafter Einordnung des Auftrags ein Vergabeverfahren nach den §§ 97 ff. GWB nicht durchgeführt, so ist der auf den Zuschlag abgeschlossene Vertrag gem. § 13 S. 4 VgV nichtig. War das Vergabeverfahren objektiv nach den §§ 97 ff. GWB zu behandeln, so ist diese objektive Rechtslage auch maßgebend dafür, an welchen rechtlichen Bestimmungen das Vergabeverfahren zu messen ist.

5. Im Anwendungsbereich von § 114 Abs. 1 GWB hat die Vergabekammer einen Entscheidungsspielraum nur im Rahmen zulässig gerügter Vergaberechtsverstöße.

6. Ist der öffentliche Auftraggeber seiner Überprüfungsaufgabe, ob ein Bieter ein ungewöhnlich niedriges Angebot i.S.v. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A abgegeben hat, im Vergabeverfahren nicht oder nicht zureichend nachgekommen, so ist diese Überprüfung in den Instanzen des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens nicht erstmals vorzunehmen. Das kann nur anders zu beurteilen sein, sofern die Tatsachen, die ein sog. Unterkostenangebot annehmen lassen, auf Grund unstreitigen oder bewiesenen und nicht mehr ergänzungsbedürftigen Vortrags der Beteiligten ohne Weiteres feststehen.

 

Normenkette

ZPO § 147; GWB § 73 Nr. 2, §§ 98-100, 105 Abs. 2, § 112 Abs. 1, § 113 Abs. 1, § 114 Abs. 1, § 116 Abs. 2, § 117 Abs. 1, § 120 Abs. 2; VgV § 2 Nr. 3, § 3 Abs. 4, § 13 S. 4; VOL/A § 25 Nr. 2 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln (Beschluss vom 04.09.2002; Aktenzeichen VK 9/02)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin werden die auf den 4.9.2002 datierten Beschlüsse (Aktenzeichen VK 9/2002) der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln in der vom stellenplanmäßigen Vertreter des Vorsitzenden der Vergabekammer (nebst Verhinderungsvermerk betreffend den Vorsitzenden der Vergabekammer), vom hauptamtlichen Beisitzer sowie vom ehrenamtlichen Beisitzer der Vergabekammer unterzeichneten Fassung und i.d.F., die vom hauptamtlichen Beisitzer (mit Verhinderungsvermerk zugleich für den Vorsitzenden der Vergabekammer) sowie vom ehrenamtlichen Beisitzer der Vergabekammer unterzeichnet worden ist, aufgehoben.

2. Die Auftragsvergabe vom 24.6.2002 an die Beigeladene ist nichtig.

3. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, in die Prüfung, ob es sich bei dem Angebot der Antragstellerin um ein aus der Angebotswertung auszuscheidendes ungewöhnlich niedriges Angebot i.S.d. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A handelt, durch Aufklärung der hierfür maßgebenden, und zwar die Auskömmlichkeit des Angebotspreises und die Leistungsfähigkeit der Antragstellerin betreffenden tatsächlichen Umstände erneut einzutreten und entspr. dem Ergebnis dieser Überprüfung – ggf. unter Einschluss des Angebots der Antragstellerin – die in die engere Wahl zu ziehenden Angebote erneut zu werten.

4. Die Kosten des erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt, die auch die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin in jenem Verfahren zu tragen hat. Die Beigeladene hat ihre im ersten Rechtszug des Nachprüfungsverfahrens entstandenen Aufwendungen selbst zu tragen.

5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

6. Die Zuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die Antragstellerin im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren notwendig.

7. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 25.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die...

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