Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der nachträglichen Begründung eines ohne Gründe an die Staatsanwaltschaft zugestellten Urteils. Verfassungsmäßigkeit eines Anleinverbots für Hunde

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist ein i.S. von §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, 275 Abs. 1 S. 1 StPO vollständig in das Sitzungsprotokoll aufgenommenes Urteil aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden, so darf es auch innerhalb der 5-Wochen-Frist nach § 275 Abs. 1 S. 2 StPO nur dann noch verändert werden, wenn die nachträgliche Urteilsbegründung gem. § 77b Abs. 2 OWiG zulässig ist.

2. Ein Anleinverbot für Hunde verstößt dann nicht gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, wenn im Geltungsbereich der entsprechenden Verordnung genügend große Flächen erhalten bleiben, auf denen sich Hunde ohne Leine bewegen dürfen.

 

Verfahrensgang

AG Mönchengladbach (Entscheidung vom 26.10.2009)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 26. Oktober 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Mönchengladbach verurteilte den Betroffenen am 26. Oktober 2009 wegen "Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 der Straßen- und Anlagenverordnung der Stadt Mönchengladbach" zu einer Geldbuße von 35 €. Mit seiner durch Beschluss des Einzelrichters des Senats vom heutigen Tage zugelassenen Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat (vorläufig) Erfolg. Das angefochtene Urteil ist auf die Sachrüge hin aufzuheben.

1. Das Urteil enthält entgegen §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, § 267 StPO keine Gründe. Das am 12. November 2009 zu den Akten gelangte Urteil mit Gründen war für das weitere Verfahren - trotz der Einhaltung der 5-Wochen-Frist nach §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO - unbeachtlich, weil zu diesem Zeitpunkt bereits eine nicht mehr abänderbare Urteilsfassung vorlag. Dies ergibt sich aus folgendem Verfahrensablauf:

Der zuständige Abteilungsrichter hat noch am 26. Oktober 2009 und nochmals am 27. Oktober 2009 im Anschluss an die Hauptverhandlung nach § 46 Abs. 1 OWiG, § 41 StPO die Zustellung eines - nicht begründeten - Urteils in der Fassung des Protokolls an die Staatsanwaltschaft verfügt (Bl. 32 und 32R d.A.). Das Protokoll enthält die für das Urteilsrubrum erforderlichen Angaben sowie die Urteilsformel und beinhaltet daher sämtliche Elemente eines abgekürzten Urteils in Bußgeldsachen (§§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die Zustellung an die Staatsanwaltschaft ist ausweislich des auf der letzten Seite des Hauptverhandlungsprotokolls (Bl. 32 d.A.) angebrachten Eingangsstempels am 30. Oktober 2009 erfolgt.

Sobald ein im Sinne von §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO vollständig in das Sitzungsprotokoll aufgenommenes Urteil aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist, darf es - auch innerhalb der 5-Wochen-Frist nach §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO - nicht mehr verändert werden, es sei denn, die nachträgliche Urteilsbegründung ist gemäß § 77b Abs. 2 OWiG zulässig (OLG Bamberg, 3 Ss OWi 1060/08 vom 16. Dezember 2008 ≪juris≫; OLG Brandenburg, NStZ-RR 2004, 121 f; KG, DAR 2001, 228 und NZV 1992, 332; OLG Köln, NZV 1997, 371). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lagen hier indes nicht vor, weil die erste - unbegründete - Fassung des amtsgerichtlichen Urteils vom 26. Oktober 2009 nicht von der Regelung des § 77b Abs. 1 OWiG gedeckt war: Weder hatte der Betroffene auf Rechtsmittel gegen das in seiner Anwesenheit ergangene Urteil verzichtet noch war die Frist zur Einlegung des Zulassungsantrags bereits abgelaufen, als die Zustellung des abgekürzten Urteils verfügt wurde.

2. Ob das Urteil (beachtliche) Gründe enthält, ist im Rechtsbeschwerdeverfahren aufgrund der Sachrüge - einer Verfahrensrüge bedarf es insoweit nicht - zu prüfen, weil von der Klärung dieser Frage abhängt, welcher Urteilstext vom Rechtsbeschwerdegericht auf materiell-rechtliche Fehler überprüft werden soll (OLG Bamberg, 3 Ss OWi 1060/08 vom 16. Dezember 2008 ≪juris≫). Enthält das Urteil - wie im vorliegenden Fall - keine für das Rechtsbeschwerdegericht beachtlichen Gründe, ist die Rechtsbeschwerde bereits deshalb mit der Sachrüge begründet. Das Rechtsbeschwerdegericht kann ein Urteil ohne Gründe keiner Prüfung auf seine materiell-rechtliche Richtigkeit unterziehen (OLG Bamberg, a.a.O.).

3. Wegen des dargelegten Mangels ist das angefochtene Urteil gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 6 OWiG, § 353 StPO aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Mönchengladbach zurückzuverweisen.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Regelung über das Anleingebo...

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