Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Start-Up Unternehmen müssen im Rahmen der Überschuldungsprüfung die Anforderungen an die Fortführungsprognose im Lichte der Besonderheiten derartiger Unternehmen betrachtet werden. Ausreichend - aber auch erforderlich - ist, dass das Unternehmen mit überwiegender, d.h. mehr als 50%iger Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen aufgrund der Bereitstellung oder Zusage externer Finanzierungsmittel zu decken.

2. Eine erfolgversprechende Marktentwicklung stellt einen Umstand dar, aus dem sich eine positive Fortführungsprognose ergeben kann. Das setzt eine nachvollziehbare, realistische (Finanz-)Planung mit einem operativen Konzept voraus, das die geplante Geschäftsausrichtung erfolgversprechend erscheinen lässt. Die Zusage eines finanzkräftigen Investors, der das Unternehmen bereits in der Vergangenheit mit Darlehen finanziell unterstützt hat, vermag eine positive Fortführungsprognose jedenfalls nur dann zu begründen, wenn dieser die Bereitstellung weiterer Mittel von der Vorlage einer aktuellen, nachvollziehbaren und realistischen Planung abhängig gemacht hat und aufgrund dessen bis zu einer erfolgversprechenden Marktentwicklung die Finanzierung durch weitere Darlehen des Investors gesichert erscheint (Ergänzung zum Senatsbeschluss vom 20.07.2021 - I-12 W 7/21).

3. Fehlt es hieran und hängt die Bereitstellung weiterer finanzieller Mittel in jedem Einzelfall allein vom Willen des Geldgebers ab, kann sich der Geschäftsführer nicht darauf verlassen, dass die Finanzierung bis zur erfolgreichen Etablierung des Unternehmens am Markt gesichert ist.

 

Normenkette

GmbHG a.F. § 64 S. 1; InsO a.F. § 19 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Kleve (Aktenzeichen 3 O 277/19)

 

Tenor

Gegenstandswert (§ 23a Abs. 1 RVG): 58.583,89 EUR.

 

Gründe

I. Der Beklagte begehrt Prozesskostenhilfe für die Durchführung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Kleve vom 05.11.2021 - 3 O 277/19 -, mit dem er kostenpflichtig verurteilt worden ist, an den Kläger 58.583,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.01.2020 zu zahlen.

In dem erstinstanzlichen Verfahren machte der Kläger als Insolvenzverwalter der X. UG (im Folgenden "Insolvenzschuldnerin") Ansprüche gegen den Beklagten als deren ehemaligen Geschäftsführer geltend.

Die mit notarieller Vereinbarung vom 07.11.2013 errichtete Insolvenzschuldnerin war mit dem Vertrieb und der Entwicklung des Getränkes "X." betraut. Unter Ziffer 4 dieser Gesellschaftervereinbarung heißt es wie folgt:

"Die Gesellschaft wird sich mit der Weiterentwicklung, der Herstellung und dem Vertrieb des Getränkes "X." beschäftigen. Bei X. handelt es sich um ein fruchtiges Energy-Getränk, welches in geschmacklicher Hinsicht vornehmlich aus der brasilianischen Frucht Acai hergestellt wird. Aufgrund der Zusammensetzung der Inhaltsstoffe von X. gehen die Gesellschafter davon aus, dass X. eine erheblich alkoholabbauende Wirkung besitzt."

Bevor X. in die endgültige Produktion ging, sollte die - erhoffte - alkoholabbauende Wirkung durch einen namentlich benannten Arzt mittels entsprechender medizinischer Untersuchungen und Studien untersucht werden. Dieser sollte im Gegenzug, sofern ihm dafür nicht 15.000,00 EUR von den Gesellschaftern zu gleichen Teilen gezahlt werden, berechtigt sein, einen im Rahmen einer Kapitalerhöhung neu zu schaffenden Geschäftsanteil zu zeichnen, so dass er nach Durchführung der Kapitalerhöhung 5 % an der Gesellschaft hält. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den als Anlage B 2 in Kopie zur Gerichtsakte gereichten notariellen Vertrag Bezug genommen.

Gesellschafter der Insolvenzschuldnerin waren der Zeuge D., die E. GmbH (..., im Folgenden "E.") sowie der Beklagte, welcher für den gesamten Zeitraum der Tätigkeiten der Insolvenzschuldnerin auch die Funktion ihres Geschäftsführers innehatte. Während der Laufzeit gewährte die E. - ihrerseits unter der Geschäftsführung des Zeugen K. - der Insolvenzschuldnerin mehrere Darlehen, deren Auszahlung streitig ist. Ferner leistete die E. verschiedentlich Zahlungen an die Insolvenzschuldnerin gegen eine Erhöhung ihres Anteils an dieser Gesellschaft.

Mit Jahresabschluss vom 31.12.2014 wurde ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag von 31.213,22 EUR festgestellt. Die Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 2014 ergab einen Verlust von 69.485,47 EUR. Am 03.04.2017 stellte der Beklagte für die Insolvenzschuldnerin Insolvenzantrag, aufgrund dessen das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter bestellt wurde.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe im Zeitraum vom 01.01.2015 bis zum 03.04.2017 masseschmälernde Zahlungen auf dem Konto der Insolvenzschuldnerin bei der ... Bank in Höhe von insgesamt 58.583,89 EUR veranlasst. Konkret handelt es sich um diverse Zahlungen vom kreditorisch geführten Konto in Höhe von 53.032,76 EUR sowie eine Einzahlung der E. vom 14.10.2015 auf das seinerzeit in Höhe von 5.551,13 EUR debitorisch ...

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