Leitsatz (amtlich)

Ein nach § 230 Abs. 2 StPO erlassener Haftbefehl ist aufzuheben, wenn nach anwaltlicher Beratung der Angeklagte freiwillig bei Gericht erschienen ist und erklärt hat, daß er zur nächsten Hauptverhandlung kommen werde.

 

Tenor

Der angefochtene Beschluß und der Haftbefehl des Amtsgerichts Neuss vom 20. Oktober 2000 - 11 Ds 510 Js 410/99 - 30/00 - gegen den Angeklagten F Q werden aufgehoben.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat in der Hauptverhandlung gegen den unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO erlassen. Nach mündlicher Anhörung des freiwillig mit einem Verteidiger erschienenen Angeklagten hat es den Vollzug des Haftbefehls mit - unter anderem - einer Meldeauflage ausgesetzt. Auf die Beschwerde des Angeklagten hat das Amtsgericht lediglich die Meldeauflage gelockert. Das Landgericht hat die Beschwerde im übrigen verworfen und der weiteren Beschwerde des Angeklagten nicht abgeholfen.

II.

Das nach § 310 Abs. 1 StPO zulässige Rechtsmittel ist begründet und führt zur Aufhebung des Haftbefehls.

1. Der Haftbefehl war schon nicht gerechtfertigt, weil er nicht notwendig war. Ist der Angeklagte - wie hier - in der Hauptverhandlung unentschuldigt ausgeblieben, so ist nach § 230 Abs. 2 StPO die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen. Als Mittel, die Anwesenheit des Angeklagten in einem neuen Verhandlungstermin sicherzustellen, sieht das Gesetz demnach in erster Linie die Anordnung der Vorführung vor. Erst in zweiter Linie kann der stärker in die persönliche Freiheit eingreifende Haftbefehl in Frage kommen (BVerfE 32, 87, 93; Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO, 44. Aufl. (1999), § 230 Rdnr. 19). Warum hier die Anordnung der Vorführung nicht ausgereicht hätte, ist weder ausgeführt noch aus den Aktenersichtlich.

2. Der Haftbefehl wäre auch dann aufzuheben, wenn sein Erlaß zunächst gerechtfertigt gewesen wäre. Zweck und rechtfertigender Grund eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO ist, die Durchführung der Hauptverhandlung sicherzustellen. Wie jede strafprozessuale Maßnahme unterliegt er dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine Verhaftung des Angeklagten ist mit diesem Grundsatz nicht mehr zu vereinbaren, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände zu erwarten ist, daß der Angeklagte zum Termin erscheinen wird (BVerfG, a. a. O. Seite 94; BVerfG, 2 BvR 1706/00 vom 18. Dezember 2000, Abs. 16, http: //www. bverfg. de/). So liegt der Fall hier. Der Angeklagte ist nach anwaltlicher Beratung freiwillig bei Gericht erschienen und hat erklärt, daß er zum nächsten Termin kommen werde. Gründe, an der Ernsthaftigkeit dieser Erklärung zu zweifeln, sind nicht ersichtlich.

3. Auch ein Haftbefehl, der nicht vollzogen wird, ist aufzuheben, wenn - wie hier - kein Haftgrund vorliegt (BVerfG StV 1996, 156; BVerfG, Beschluß vom 18. Dezember 2000, Abs. 17, a. a. O. ).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2571612

StV 2001, 331

StraFo 2001, 398

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