Leitsatz (amtlich)

1. Liegen dem angefochtenen Urteil mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen zugrunde, müssen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde unter Beachtung der Feststellungen des Tatrichters, aber ohne Bindung an dessen Rechtsansicht bei jeder Tat gesondert geprüft werden, wobei der prozessuale Tatbegriff entscheidend ist.

2. Zu den Konkurrenzen mehrerer (fahrlässig begangener) Geschwindigkeitsüberschreitungen.

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird hinsichtlich der abgeurteilten Verkehrsverstöße vom 6. September 1999 als unbegründet und im übrigen als unzulässig verworfen.

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.

 

Gründe

Am 5. Juni 2000 verkündete das Amtsgericht Oberhausen gegen den Betroffenen ein im Tenor wie folgt lautendes Urteil:

"Der Betroffene wird wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 3 Abs. 3, 49 StVO in Verbindung mit § 24 StVG in neun Fällen zu einer Geldbuße von 870 DM verurteilt.

(Tat vom 6. 9. 1999 7. 50 - 9. 50 Uhr 200 DM

Tat vom 6. 9. 1999 10. 00 - 11. 20 Uhr 60 DM

Tat vom 6. 9. 1999 12. 15 - 12. 35 Uhr 100 DM

Tat vom 6. 9. 1999 12. 45 - 13. 00 Uhr 50 DM

Tat vom 6. 9. 1999 15. 20 - 15. 40 Uhr 100 DM

Tat vom 6. 9. 1999 15. 45 - 16. 00 Uhr 100 DM

Tat vom 7. 9. 1999 7. 20 - 7. 55 Uhr 100 DM

Tat vom 7. 9. 1999 8. 15 - 8. 40 Uhr 100 DM

Tat vom 7. 9. 1999 11. 30 - 11. 55 Uhr 60 DM). "

Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde ist hinsichtlich der abgeurteilten Verkehrsverstöße vom 6. September 1999 unbegründet und im übrigen - auch unter Berücksichtigung des in der Beschwerdeschrift "hilfsweise" gestellten Zulassungsantrags - unzulässig.

1.

Wie sich der im Tenor enthaltenen Auflistung sowie den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zweifelsfrei entnehmen läßt, ist das Amtsgericht vorliegend von neun tatmehrheitlich begangenen Fällen der fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgegangen und hat hierfür - ungeachtet der insoweit sprachlich mißglückten Formulierung im ersten Teil des Tenors - neun Geldbußen festgesetzt (§ 20 OWiG). Für die Frage, ob die unbeschränkt eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG zulässig ist oder einer Zulassung bedarf (§§ 79 Abs. 1 S. 2, 80 OWiG), ist zwischen den abgeurteilten Verkehrsverstößen vom 6. September 1999 einerseits und denjenigen des 7. September 1999 andererseits zu unterscheiden. Dies ergibt sich aus § 79 Abs. 2 OWiG.

Nach dieser Vorschrift, über deren Voraussetzungen das Rechtsbeschwerdegericht in Orientierung an die tatrichterlichen Feststellungen, aber ohne Bindung an dessen Rechtsansicht zu entscheiden hat (vgl. BayObLG Wistra 94, 80), müssen die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3, S. 2 OWiG für jede im Urteil abgehandelte prozessuale Tat isoliert geprüft werden. Da § 79 Abs. 2 OWiG hierbei an den prozessualen und nicht an den materiellrechtlichen Tatbegriff anknüpft (vgl. OLG Düsseldorf NZV 94, 118, 119), sind mehrere gemäß § 20 OWiG verwirkte Geldbußen bei der Ermittlung des zulässigkeitsrelevanten Beschwerdewerts zusammenzurechnen, sofern die ihnen zugrundeliegenden Verstöße einem einheitlichen historischen Geschehenshergang zuzuordnen sind.

Dies trifft im vorliegenden Fall für die Verkehrsverstöße vom 6. September 1999 einerseits und für diejenigen vom 7. September 1999 andererseits zu. Nach den aufgrund einer Auswertung von Fahrtenschreiberschaublättern getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts hat der Betroffene als Fahrer eines Lastkraftwagens an beiden Tagen zu den im Urteilstenor niedergelegten Zeiträumen die fahrzeugbedingt geltende Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 2a StVO) mehrfach überschritten. In derartigen Fällen einer "Aneinanderreihung" gleichartiger Verkehrsverstöße beginnt nach allgemeiner Ansicht mit jedem Fahrtbeginn nach einem nicht verkehrsbedingten Stillstand des Fahrzeugs eine neue Tat im prozessualen Sinne, denn unter Berücksichtigung normaler Verhältnisse im Straßenverkehr stellt das Abstellen des Fahrzeugs eine Zäsur dar, die einen zuvor als historische Einheit zu betrachtenden Verkehrsvorgang beendet (OLG Düsseldorf, NZV 94, 118f. , NZV 96, 503, 504f. und VRS 90, 296, 299; BayObLG NZV 97, 282 und 489, 490; OLG Köln NZV 94, 292). Bei den hier festgestellten Verkehrsverstößen vom 6. September 1999 und denen des Folgetages handelt es sich mithin um verschiedene Taten im verfahrensrechtlichen Sinne, denn es ist ohne weiteres davon auszugehen, daß der Betroffene die nach den Urteilsausführungen schon am Morgen des 6. September 1999 begonnene Fahrt mit dem Lkw spätestens in der darauffolgenden Nacht unterbrochen hat. Im übrigen läßt das angefochtene Urteil mangels jeglicher Angaben zu etwaigen Fahrtpausen des Betroffenen die Annahme weitergehender verfahrensrechtlicher Zäsuren nicht zweifelsfrei zu. Aufgrund der amtsgerichtlichen Feststellungen zu den zeitlichen ...

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