Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Zusammenstoß des Wendenden mit dem fließenden Verkehr spricht ein Anscheinsbeweis für ein Fehlverhalten des Wendenden als Unfallursache; ihn trifft im Allgemeinen die Alleinhaftung.

2. Eine verkehrsübliche Geschwindigkeitsüberschreitung (bis zu 50% der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) des Unfallgegners reicht zur Entkräftung dieses Anscheinsbeweises nicht aus.

3. Der in einer solchen Überschreitung liegende Verursachungsbeitrag ist aber in die erforderliche Abwägung einzubeziehen, wenn er sich entweder auf das Unfallgeschehen oder auf die Schwere der Unfallfolgen ausgewirkt hat; eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 8 km/h bei zulässigen 50 km/h rechtfertigt eine Mithaftungsquote von nicht mehr als 25%.

4. Die Ersparnis berufsbedingter Aufwendungen durch einen unfallbedingten Beschäftigungsausfall kann mangels näherer Darlegung mit 10% des auf den Ausfallzeitraum entfallenden Nettoeinkommens geschätzt werden.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 05 O 3706/13)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 16.08.2019, Az. 5 O 3706/13, teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 639,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 30.11.2013 zu bezahlen,

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 96,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 20.06.2013 zu bezahlen,

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 99,10 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 20.06.2013 zu bezahlen,

4. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500,- EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 24.01.2014 zu bezahlen,

5. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von 359,50 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 24.01.2014 zu zahlen.

6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Berufung der Klägerin werden zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 90 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 10 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 75 % der Klägerin und zu 25 % den Beklagten als Gesamtschuldner auferlegt.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 13.444,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. (Von der Aufnahme des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.)

II. Die Berufungen sind zulässig. Die Berufung der Beklagten ist zum Teil begründet, die Berufung der Klägerin bleibt dagegen ohne Erfolg.

Sowohl die Klägerin als auch die Beklagten haben grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7 Abs. 1,17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Die Klägerin hätte in der gegebenen Situation nicht ausparken und wenden dürfen (im folgenden unter 1.). Aber auch für den Beklagten zu 2 war die Kollision nicht unvermeidbar im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG. Ein Idealfahrer wäre aufgrund der unklaren Geschwindigkeitsregelung auf dem Messering mit einer erheblich geringeren Geschwindigkeit gefahren (im folgenden unter 2.).

Steht damit die Haftung beider Unfallbeteiligten fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen sind bei der Abwägung der beiderseitigen Verursacherbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d. h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung auf Grund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (st. Rspr.; BGH, Urt. v. 21.11.2006 - VI ZR 115/05, NJW 2007, 506; Urteil vom 27.6.2000 - VI ZR 126/99, NJW 2000, 3069; OLG Saarbrücken, Urteil vom 12.10.2010 - 4 U 110/10, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2018 - 1 U 117/17 -, Rn. 5, juris). Die jeweils ausschließlich unstreitigen oder nachgewiesenen Tatbeiträge, müssen sich zudem a...

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