Leitsatz (amtlich)

Die Nassreinigung eines Fliesenfußbodens in einem Supermarkt während der Öffnungszeiten ist als Verletzung der Verkehrssicherungspflichten anzusehen, wenn keine ausreichenden Schutzmaßnahmen zu Gunsten der Kunden getroffen werden.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 1542/21)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 25.10.2022, Az. 8 O 1542/21, in Ziffer 1 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.629,54 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz aus 3.629,54 EUR seit dem 29.04.2020 und aus weiteren 9.000,00 EUR seit dem 07.07.2021 zu zahlen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

IV. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist nur zu einem geringen Teil begründet. Zu Recht hat das Landgericht dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000,00 EUR zugesprochen sowie Schadensersatz in Höhe von 137,00 EUR und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 EUR. In der Summe ergibt dies 12.629,54 EUR. Erfolg hat die Berufung allerdings, soweit sie sich gegen die zusprechende Entscheidung von Auslagen in Höhe von 20,00 EUR richtet. Insoweit war die Klage abzuweisen.

1. Die Berufung ist zulässig. Erkennbar und auf den Einzelfall zugeschnitten wendet sich die Beklagte gegen die Verurteilung schon dem Grunde nach. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingegangen. Gegen das berichtigte Urteil war nicht erneut Berufung einzulegen. Es handelte sich nicht um ein Ergänzungsurteil, sondern um die Berichtigung einer offenbaren Unrichtigkeit. Im Übrigen hat die Beklagte vorsorglich auch gegen das berichtigte Urteil Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung vom 30.01.2023 bezieht sich auf das gesamte Urteil, also auch auf den berichtigten Teil.

2. Verfahrensfehler des Landgerichts sind nicht gegeben. Insbesondere ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Eine erneute Beweisaufnahme ist lediglich hinsichtlich der Zeugin S... geboten, denn insoweit enthält das angefochtene Urteil keine Beweiswürdigung.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich ergeben, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig bzw. in sich widersprüchlich ist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 21.06.2016 - VI ZR 403/14, Rn. 10, juris). Zudem können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben. Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es somit zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet (BGH, Beschluss vom 11.10.2016 - VIII ZR 300/15, Rn. 24, juris).

b) Eine erneute Vernehmung aller Zeugen in der Berufungsinstanz war nicht erforderlich. Das Landgericht hat sich mit den Angaben der Zeugen T..., E..., M... und S... eingehend beschäftigt und dargelegt, warum es im Ergebnis von dem Vorhandensein einer pflichtwidrigen Nässestelle im Sturzbereich des Klägers ausgegangen ist. Diese Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden.

Keine Erörterung im angefochtenen Urteil findet allerdings die Aussage der Zeugin S..., der Ehefrau des Klägers. Daher hat der Senat (nur) die Zeugin S... nochmals vernommen, nicht die weiteren Zeugen. Allein hinsichtlich der Zeugin S... fehlte im angefochtenen Urteil eine Beweiswürdigung, so dass sich der Senat einen eigenen Eindruck von der Zeugin verschaffen musste. Anders als die Beklagte meint, waren deshalb nicht sämtliche Zeugen zum gleichen Beweisthema erneut zu hören. Der Beklagten ist zuzugeben, dass diese Auffassung vertreten wird (Heßler, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 529 Rn. 12). Die dort als Beleg zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist aber so weitgehend nicht zu verstehen. Der Bundesgerichtshof hat lediglich ausgeführt, dass das Berufungsgericht, wen...

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