Leitsatz (amtlich)

1. Der Suizid eines nahen Angehörigen betrifft den Kernbereich der Privatsphäre; eine namentliche Berichterstattung verletzt zugleich dessen Recht, mit seiner Trauer allein gelassen zu werden.

2. Auch bei einem ehemaligen Landesminister, der sich seit mehreren Jahren aus der Öffentlichkeit zurück gezogen hat, besteht regelmäßig kein Informationsinteresse der Öffentlichkeit am Suizid eines Angehörigen.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Urteil vom 18.01.2011; Aktenzeichen 3 O 21/10)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 18.1.2011 - 3 O 21/10 - abgeändert und die Beklagte über die in Ziff. 1 und 2 ausgeurteilten Beträge hinaus verurteilt, an die Klägerin eine immaterielle Geldentschädigung i.H.v. 8.000,00 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seid dem 28.9.2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung der Klägerin sowie die Anschlussberufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu ¾, die Beklagte zu 1/4.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin war bis 2003 Mitglied der sächsischen Staatsregierung, zuletzt als .... Im Juni 2003 trat sie von diesem Amt zurück. Sie hat sich seitdem aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und bekleidet auf Landesebene keine politischen Ämter mehr. Erstinstanzlich hat sie die Beklagte im Anschluss an deren Berichterstattung in der M. vom 16.7.2009, Ausgaben Chemnitz und Dresden, auf Geldentschädigung und Unterlassung der Abbildung ihres Anwesens in Anspruch genommen. Mit Schreiben vom 17.9.2009 hat die Beklagte auf eine Unterlassungsaufforderung der Klägerin (K 3) sich verpflichtet es zu unterlassen, bei der weiteren Berichterstattung über den Selbstmord des Sohnes auf das Verwandtschaftsverhältnis zu der Klägerin hinzuweisen und über diese zu berichten, sie sei nach ihrem Rücktritt akut selbstmordgefährdet gewesen. Eine weitergehende Unterlassungsverpflichtung hat die Beklagte abgelehnt. Es wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

Das LG hat die Klage im weit überwiegenden Umfang abgewiesen und der Klägerin lediglich die Kosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung zum Teil zugesprochen. Zwar habe die Beklagte durch den streitgegenständlichen Artikel in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin eingegriffen. In der in dem Artikel enthaltenen rhetorischen Frage ("Hatte er also die letzten Prüfungen nicht bestanden und traute sich nun nicht, damit seiner Mutter gegenüberzutreten?") liege eine rechtswidrige Beeinträchtigung, weil damit ohne Interpretationsmöglichkeit für den Leser unterstellt werde, dass das Verhältnis des Sohnes zu der Klägerin für den Suizid mitbestimmend gewesen sei. Es handele sich hierbei um eine Meinungsäußerung, die in die Privatsphäre der Klägerin eingreife und daher mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuwägen sei. Als besonders nachteilig für die Klägerin erweise sich, dass ihr Name mit dem Selbstmord in Verbindung gebracht werde, ohne dass sie selbst in diesem Zusammenhang die Öffentlichkeit gesucht habe. Zudem sei ihr Recht, als Trauernde respektiert und für sich gelassen zu werden, durch die Berichterstattung beeinträchtigt. Das öffentliche Informationsinteresse stehe demgegenüber weniger im Vordergrund. Allerdings lege der Bericht weder einen Ursachenbeitrag noch ein Verschulden der Klägerin am Suizid ihres Sohnes nahe, sondern lasse letztlich die Motive hierfür offen. Ein Geldentschädigungsanspruch komme in einer derartigen Konstellation nur dann in Betracht, wenn sämtliche möglichen Auslegungsvarianten zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin führen würden; dies sei hier jedoch nicht der Fall. Ob der Artikel darüber hinaus in das Persönlichkeitsrecht des Sohnes eingreife, könne dahinstehen, weil die Klägerin keinen postmortalen Achtungsanspruch geltend gemacht habe. Soweit der Artikel die offizielle Erklärung für den Rücktritt der Klägerin im Jahre 2003 wiedergebe, liege hierin keine eigene Aussage, die das Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzen könne. Die Veröffentlichung des Bildnisses der Klägerin sei von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG gedeckt, weil es sich bei dem Suizid des Sohnes um ein zeitgeschichtlich berichtenswertes Ereignis gehandelt habe. Aus demselben Grund verletze auch die Abbildung ihres Wohnhauses die Klägerin nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, zumal das Foto keinen Einblick in den Innenbereich ihres Hauses gestatte. Insgesamt sei damit die aus dem Artikel hervorgehende Verletzung nicht als hinreichend schwerwiegend anzusehen, um die Zubilligung einer Geldentschädigun...

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