Leitsatz (amtlich)

1. Veranlassung zur Klage nach einem Verkehrsunfall gibt der Haftpflichtversicherer erst dann, wenn er sich im Zeitpunkt der Klageerhebung in Verzug befindet; hierfür bedarf es nicht nur einer Schadensaufstellung, sondern auch einer sich anschließenden Mahnung.

2. Unabhängig hiervon ist dem Versicherer mit Zugang der Schadensmeldung eine angemessene Prüffrist zuzubilligen, die regelmäßig vier bis sechs Wochen beträgt, abhängig von den Umständen des Einzelfalls aber auch länger laufen kann.

3. Bietet der Geschädigte dem Versicherer an, ihm Einsicht in eine bei ihm vorliegende Ermittlungsakte zu verschaffen, ist der Lauf der Prüffrist solange gehemmt, bis diese Akte dem Versicherer vorliegt.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Aktenzeichen 5 O 78/20)

 

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 27.05.2020 - 5 O 78/20 - wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 5.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin hat ursprünglich von den Beklagten (die Beklagte zu 2. ist Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 1.) Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles vom 23.11.2019 verlangt. Mit Schreiben vom 02.12.2019 bat sie um Bestätigung der Einstandspflicht und bezifferte den von ihr "derzeit" geltend gemachten Schaden auf 7.181,51 EUR. Am 04.12.2019 teilte die Beklagte zu 2.) mit, sie habe noch Akteneinsicht in die polizeiliche Ermittlungsakte erbeten. Mit Schreiben vom 06.01.2019 bot der anwaltliche Vertreter der Klägerin an, die ihm bereits vorliegende Ermittlungsakte der Beklagten zu 2.) zu übermitteln und erklärte zugleich, er habe die Ansprüche seiner Mandantschaft ausdrücklich anzumahnen. Am 10.01.2020 erweiterte die Klägerin ihre Schadensersatzforderung um Zulassungs- und Mietwagenkosten auf nunmehr 9.953,14 EUR. Die mit der seit dem 23.1.2020 anhängigen Klage geltend gemachten Ansprüche hat die Beklagte zu 2) mit Zahlungseingang am 27.01.2020 beglichen. Am 20.02.2020 erklärte die Klägerin Klagerücknahme unter Verwahrung gegen die Kostenlast. Das Landgericht hat die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt. Wegen der Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des angefochtenen Beschlusses (Bl. 42 ff d.A.) verwiesen.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde vertritt die Klägerin die Auffassung, die in der Rechtsprechung den Versicherern allein zugebilligte Prüffrist von 4 bis 6 Wochen habe die Beklagte verstreichen lassen, da von der ersten Schadensgeltendmachung bis zur Klageeinreichung siebeneinhalb Wochen vergangen seien. Trotz der Bereitschaft zur Übersendung der Ermittlungsakte im Schreiben vom 06.01.2020 habe die Beklagte zu 2.) nicht auf ein weiteres Zuwarten durch die Klägerin vertrauen dürfen. Denn in demselben Schreiben sei ein ernsthaftes Zahlungsverlangen zum Ausdruck gebracht worden.

II. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist nach §§ 269 Abs. 5, 567 ZPO zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt worden. Sie ist in der Sache aber unbegründet.

Zu Recht hat das Landgericht der Klägerin die Kosten auferlegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Die Beklagten haben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles keine Veranlassung zur Klage im Sinne des § 269 ZPO gegeben. Eine solche Klageveranlassung setzt nach allgemeiner Auffassung voraus, dass sich ein Beklagter vor Prozessbeginn so verhält, dass die Klägerseite berechtigterweise annehmen muss, ohne Klage nicht zu ihrem Recht zu kommen (zahlreiche Rechtsprechungsnachweise bei Zöller-Herget, ZPO, 33. Aufl., § 93 Rn. 1 i.V.m. § 269 Rn. 18 c). Werden Haftpflichtansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend gemacht, liegen diese Voraussetzungen nur vor, wenn sich die Versicherung zum Zeitpunkt der Klageerhebung in Verzug befindet und eine ihr zuzubilligende Prüffrist verstrichen ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.02.2018 - 22 W 2/18; Zöller, a.a.O.; § 93 Rz. 6.54 m.w.N.).

1. Vorliegend befand sich die Beklagte zu 2) nicht bereits infolge des Schreibens vom 02.12.2019 (K 7) in Verzug. Der Verzug des Schuldners setzt nämlich gemäß § 286 BGB neben der Fälligkeit der Forderung eine eindeutige und bestimmte Leistungsaufforderung durch den Gläubiger voraus. Auch wenn es einer Fristsetzung grundsätzlich nicht bedarf, muss der Schuldner genau erkennen können, was der Gläubiger verlangt (BGH Urteil vom 17.10.2008 - V ZR 31/08 Herberger/Martinek/Rüßmann, juris-PK 9. Aufl. 2020, § 286 Rz. 13 f.); zulässig ist es, die Mahnung mit der die Fälligkeit begründenden Handlung zu verbinden (Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 286, Rz. 16).

a) Da gem. § 271 BGB eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen ist, kann der Unfallgeschädigte die Leistung sofort verlangen, wenn er seinen Schaden ordnungsgemäß spezifiziert und in nachprüfbarer Form belegt hat. Ob dem Schreiben vom 2.12.2019 und der dortigen Schadensaufstellung ausreich...

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