Leitsatz (amtlich)

Werden in einem Beweisbeschluss einem medizinischen Sachverständigen weder ein konkreter Sachverhalt noch mehrere Sachverhaltsvarianten, zu denen er alternativ Stellung nehmen soll, vorgegeben, so begründet es die Besorgnis der Befangenheit regelmäßig nicht, wenn der Sachverständige von einem Sachverhalt ausgeht, der mit den von ihm ausgewerteten Behandlungsunterlagen vereinbar ist, auch wenn dieser Sachverhalt zwischen den Parteien streitig ist.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Aktenzeichen 6 O 2500/19)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 16.2.2021 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.

3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 96.598, 52 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die am 20.7.2012 geborene Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht für materielle und immaterielle Zukunftsschäden in Anspruch. Sie behauptet, bei der Geburt seien den Behandlern der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) verschiedene Behandlungsfehler unterlaufen, die zu einer schweren kindlichen Plexusparese geführt hätten. So sei ihrer Mutter ausweislich des Partogramms unmittelbar vor der Geburt "6 IE Oxytocin i.V." verabreicht worden, was absolut kontraindiziert sei; diese Dosierung habe überdies die zulässige Maximalmenge überschritten. Nach der Geburt des Kopfes aber noch vor der Entwicklung der vorderen Schulter sei ein ventraler Zug ausgeübt worden, was zwingend auf eine Fehlbehandlung hindeute. Die Behandlungsdokumentation sei unzureichend und lasse den Schluss auf Behandlungsfehler zu. Darüber hinaus sei ihre Mutter unzureichend aufgeklärt worden.

Das Landgericht hat den Sachverständigen Professor C...... mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt zu der Frage, ob die Geburt der Klägerin "behandlungsfehlerhaft begleitet bzw. unterstützt worden" sei. Der Sachverständige hat sein Gutachten am 12.11.2020 erstattet. Die Klägerin hat innerhalb der laufenden Stellungnahmefrist mit Schriftsatz vom 11.2.2021 den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Landgericht Dresden hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 16.2.2021 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 11.3.2021 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, der Sachverständige habe sich der Besorgnis der Befangenheit ausgesetzt, weil er von einem falschen und nicht feststehenden Sachverhalt ausgegangen sei. Entgegen der Auffassung des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss könne aus den Eintragungen im Partogramm nur geschlossen werden, dass die Oxytocin-Bolus-Gabe vor der Geburt erfolgt sei, weil von einer strikten zeitlichen Maßstäblichkeit der 15-Minuten-Spalten auszugehen und überdies im Anschluss an den entsprechenden Eintrag dort vermerkt sei "nach Geburt des Kopfes keine Wehen - Tropf erhöht". Der hierdurch dokumentierte Geburtsstillstand sei zudem typisch für eine Schulterdystokie, die der Sachverständige gleichwohl als reine Spekulation bewertet habe. Auch wenn man mit dem Landgericht davon ausgehe, dass die Eintragungen im Partogramm den Verlauf der Geburt lediglich grob wiedergäben, lasse dies jedenfalls nicht den zwingenden Schluss zu, dass das Oxytocin erst nach der Geburt verabreicht worden sei. Dies habe der Sachverständige aber in seinem Gutachten unterstellt. Dies rechtfertige zumindest aus der maßgeblichen Sicht der Klägerin dessen Besorgnis der Befangenheit.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1, 569 ZPO zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Prof. C...... wegen Besorgnis der Befangenheit nicht gerechtfertigt ist.

1. Die Ablehnung eines Sachverständigen findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen, §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 2 ZPO. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken könne, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 11.04.2013 - VII ZB 32/12 - juris; vgl. Senat, Beschluss vom 12.12.2017 - 4 W 1113/17 - juris). Es kommt nicht darauf an, ob das Gericht selbst Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen hegt oder ob dieser tatsächlich parteiisch ist oder sich nach Lage der Dinge zumindest darüber hätte bewusst sein können, dass sein Verhalten geeignet sein könnte, Zweifel an seiner Neutralität aufkommen zu lassen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.01.2019 - 8 U 97/15 -; vgl. BGH Beschluss vom 23.10.2007 - X ZR 100/05 - juris). Maßgeblich ist vielmehr, ob für die das Ablehnungsgesuch anbringende Partei der - nicht auf rein subjektiven oder unvernünftigen...

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