Leitsatz (amtlich)

Ein medizinischer Sachverständiger, der aufgrund einer angenommenen Verpflichtung, "die Sache selbst vollumfänglich zu bewerten" den ihm gesetzten Gutachtenauftrag überschreitet und ungefragt zu einer Aufklärungspflicht Stellung nimmt, erweckt allein hierdurch noch nicht den Anschein der Befangenheit.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 3251/16)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 15.11.2017 - Az. 7 O 3251/16 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.333,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Behandlungs- und Aufklärungsfehler wegen einer am 12.12.2013 im Hause der Beklagten durchgeführten Aortenklappenoperation. Das Landgericht hat ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt, nachdem es in dem zugrunde liegenden Beweisbeschluss vom 28.07.2017 die Parteien darauf hingewiesen hatte, der Frage der klägerseits gerügten mangelhaften Eingriffsaufklärung nicht weiter nachgehen zu wollen, weil ein Entscheidungskonflikt nicht plausibel sei. Angesichts der unstreitig verschlissenen Aortenklappenprothese hätte sich die Klägerin aus Sicht des Landgerichts der letztlich vorgenommenen Operation ohnehin unterzogen. Der Sachverständige Prof. Dr. A. hat in seinem Gutachten zunächst ausgeführt, dass und weshalb dem Personal der Beklagten keine Unterschreitung des Facharztstandards bei der Operation an sich und keine Sorgfaltsfehler vorzuwerfen seien. Ergänzend führte er aber auch aus, dass über ein alternatives Behandlungsverfahren hätte aufgeklärt werden können und müssen, zumal die Beklagte als "Wegbereiter" dieser weniger invasiven alternativen Prozedur mit einer Fülle von Publikationen und großen Eingriffszahlen gelte. Die Beklagte hat daraufhin den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. In seiner Stellungnahme zu dem Befangenheitsantrag hat der Sachverständige ausgeführt, er sehe sich als Fachgutachter aufgerufen, die Situation in Gänze zu bewerten, weil er der Sache sonst nicht umfänglich gerecht werden könne. Vor dem Hintergrund, dass die Beklagte einerseits selbst große Expertise mit dem von ihr benannten Alternativverfahren für sich in Anspruch nehme, andererseits aber gleichwohl bestreite, dass es sich hierbei um eine etablierte Methode handele, halte er ihr Vorbringen insofern für "fast zynisch".

Das Landgericht hat das Befangenheitsgesuch abgelehnt und ausgeführt, angesichts der zuvor von der Klägerin erhobenen Aufklärungsrüge habe der Sachverständige den Gutachtenauftrag nicht in einer so erheblichen Weise überschritten, dass sein Vorgehen geeignet gewesen sei, vom Standpunkt einer vernünftig denkenden Partei Misstrauen in seine Unbefangenheit zu wecken. Mit der Beschwerde wiederholt und vertieft die Beklagte ihre bereits im Befangenheitsgesuch vorgebrachten Bedenken. Die Stellungnahme des Sachverständigen zum Befangenheitsantrag und der Gegenüber der Beklagten erhobene Vorwurf des "Zynismus" mache deutlich, dass der Sachverständige ihr nicht mehr unvoreingenommen gegenüberstehe.

II. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 Ziffer 1, 569 ZPO zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Eine Ablehnung des Sachverständigen Prof. A. wegen der Besorgnis der Befangenheit ist nicht gerechtfertigt.

Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen ist gemäß §§ 406 Abs. 1, 42 ZPO anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lassen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Erforderlich sind objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH, NJW-RR 2003, 1220, 1221). Diese Voraussetzungen liegen vorliegend noch nicht vor. Dabei kann zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden, wonach allein die Überschreitung des Gutachtenauftrags nicht zwangsläufig zu einer Besorgnis der Befangenheit führt. Notwendig ist darüber hinaus die Feststellung, dass sich dem Verhalten des Sachverständigen zusätzlich zur Überschreitung des Gutachtenauftrags Belastungstendenzen entnehmen lassen, die bei vernünftiger Betrachtung den Eindruck der Voreingenommenheit zu erwecken vermögen (BGH, Urteil vom 11.04.2013, VII ZB 32/12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04.09.2013 - 9 W 28/13). Eine schematische und generelle Betrachtungsweise verbietet sich, es ist jeweils eine Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich (BGH, aaO.). Vorliegend ist zwar der Vorwurf einer objektiven Überschreitung des Gutachtenauftrags zutreffend, denn das Gericht hat den Sachverständigen nicht gebeten, zu der zuvor erho...

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