Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestellung eines Prozesspflegers

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einer Klage gegen eine über keinen Geschäftsführer verfügende GmbH kommt der Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 57 Abs. 2 ZPO Vorrang vor einer Notgeschäftsführerbestellung nach § 29 BGB analog zu.

 

Normenkette

ZPO § 57 Abs. 2; BGB § 29

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Beschluss vom 24.10.2001; Aktenzeichen 6 O 2066/01)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Leipzig vom 24.10.2001 – 6 O 2066/01 – aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerde, an das LG Leipzig zurückverwiesen.

Gegenstandswert der Beschwerde: 19.762,52 DM.

 

Gründe

I. Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde dagegen, dass das LG ihren Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers zur Durchführung einer Klage gegen die – derzeit über kein Vertretungsorgan verfügende – Beklagte zurückgewiesen hat.

II. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und führt in analoger Anwendung von § 539 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz, da diese die Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 57 Abs. 2 ZPO verfahrensfehlerhaft versagt hat.

1. Keiner abschließenden Entscheidung bedarf dabei, wie sich § 57 ZPO und § 29 BGB analog zueinander bei einem von einer prozessunfähigen juristischen Person betriebenen Aktivprozess oder bei Rechtsstreitigkeiten zwischen der juristischen Person und ihren Mitgliedern bzw. Gesellschaftern verhalten (vgl. BayObLGZ 1998, 179 [184]; OLG Zweibrücken v. 12.4.2001 – 3 W 23/01, GmbHR 2001, 571 = OLGReport Zweibrücken 2001, 343 = ZIP 2001, 973 [974]; KG v. 4.4.2000 – 1 W 3052/99, KGReport Berlin 2000, 280 = GmbHR 2000, 660 = BB 2000, 998 [999]; Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl., § 29 Rz. 8)

2. Zumindest bei einem von einem sonstigen Gläubiger gegen die prozessunfähige juristische Person gerichteten Rechtsstreit kann eine Beschlussfassung nach § 57 Abs. 2 ZPO nicht unter Hinweis auf ein mögliches Vorgehen nach § 29 BGB analog abgelehnt werden.

a) Das jedes hoheitliche Handeln prägende Verhältnismäßigkeitsgebot gebietet, bei derartigen Sachlagen von der Einsetzung eines Notgeschäftsführers Abstand zu nehmen.

aa) Die Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 57 Abs. 2 ZPO ist für die Gesellschaft weit weniger einschneidend als die gerichtliche Bestellung eines Vertretungsorgans.

So hätte etwa die vom LG für notwendig erachtete Berufung eines Notgeschäftsführers zur Folge, dass ohne entsprechenden Willen der Gesellschafter ein Dritter die Beklagte uneingeschränkt rechtsgeschäftlich verpflichten könnte und in sämtliche Einzelheiten ihres Geschäftsbetriebs, einschl. sämtlicher Betriebsgeheimnisse, Einblick erlangte. Auch hätte ein Notgeschäftsführer von der Beklagten eine ungleich höhere Vergütung als ein Prozesspfleger zu beanspruchen, da ihm sämtliche den Geschäftsführer einer GmbH treffenden Pflichten, alle über § 31 BGB vermittelten deliktischen Verantwortlichkeiten inbegriffen, oblägen.

bb) Diese nachhaltigen Eingriffe in originäre statuarische und normative Befugnisse der Gesellschafter sind nicht durch anerkennenswerte Belange des Gläubigers zu rechtfertigen, da für dessen sachgerechte Rechtsverfolgung die Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 57 Abs. 2 ZPO ohne weiteres genügt (i.E. ebenso: OLG Stuttgart v. 12.7.1996 – 9 W 69/94, MDR 1996, 198; Reuter in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 29 Rz. 11; Erman/H.P. Westermann, BGB, 10. Aufl., § 29 Rz. 2; für Insolvenzverfahren: Kulzer ZIP 2000, 654 [655]; tendenziell auch: OLG Zweibrücken v. 12.4.2001 – 3 W 23/01, GmbHR 2001, 571 = OLGReport Zweibrücken 2001, 343 = ZIP 2001, 973 [975]).

b) Dieses Verständnis der Wechselwirkungen zwischen § 57 Abs. 2 ZPO einerseits und § 29 BGB analog andererseits wird auch dem Willen des historischen Gesetzgebers gerecht, der davon ausgegangen ist, dass bei einer gegen die juristische Person gerichteten Klage einem Vorgehen nach § 57 ZPO Vorrang vor der gerichtlichen Bestellung eines Vertretungsorganes gebührt (vgl. Mugdan, Die gesammelten Materialien zum BGB des Deutschen Reiches, I. Band, S. 407)

c) Die gegenteilige Sicht (vgl. BayObLGZ 1998, 179 [184]; KG v. 4.4.2000 – 1 W 3052/99, KGReport Berlin 2000, 280 = GmbHR 2000, 660 = BB 2000, 998 [999]; Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl., § 29 Rz. 8 jew. m.w.N.) vermag hingegen nicht aufzuzeigen, welche Vorteile die gerichtliche Einsetzung eines Vertretungsorganes mit sich bringen soll. Insbesondere lässt sich die weit höhere Eingriffsintensität des von der Vorinstanz für erforderlich erachteten Weges nicht damit rechtfertigen, dass in einem dem Erkenntnisverfahren etwa nachfolgenden Vollstreckungsverfahren Situationen eintreten können, bei denen der Gläubiger auf die Bestellung eines Notgeschäftsführers angewiesen sein mag.

3. Kann aber die Klägerin auf eine Notgeschäftsführerbestellung nach § 29 BGB analog nicht verwiesen werden, ist ihr gem. § 57 Abs. 2 ZPO ein Prozesspfleger zu bestell...

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