Leitsatz (amtlich)

Art. 6 Abs. 3 MRK hindert nicht die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG, wenn im Termin für den abwesenden Betroffenen ein vertretungsbefugter Verteidiger auftritt, der Betroffene aber von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war.

 

Verfahrensgang

AG Döbeln (Entscheidung vom 01.10.2013; Aktenzeichen 8 OWi 540 Js 11134/13)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Döbeln vom 01. Oktober 2013 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen; § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

 

Gründe

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 15. November 2012 hat das Landratsamt Mittelsachsen gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 120,00 € wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 39 km/h verhängt.

Nachdem der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hatte, wurden die Akten dem Amtsgericht Döbeln vorgelegt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 27. September 2013 beantragte der Betroffene, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wobei er unter anderem erklärte, zur Fahrereigenschaft keine Angaben machen zu wollen und von seinem sich aus Art. 6 Abs. 3 MRK ergebenden Recht, sich allein durch einen Verteidiger vertreten zu lassen, Gebrauch zu machen. Der Antrag wurde durch das Amtsgericht abgelehnt und der Einspruch des Betroffenen durch das Amtsgericht Döbeln mit Urteil vom 01. Oktober 2013 verworfen, weil der Betroffene unentschuldigt nicht zur Hauptverhandlung erschienen sei.

Hiergegen hat der Betroffene durch seinen Verteidiger form- und fristgerecht Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und diese mit der Verletzung formellen Rechts begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Döbeln vom 01. Oktober 2013 als unbegründet zu verwerfen.

Mit gesondertem Beschluss der Einzelrichterin des Senats vom heutigen Tage hat diese dem Antrag stattgegeben und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat in der Sache selbst keinen Erfolg.

Die Verwerfung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid unter Verletzung der §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 2 OWiG kann ausschließlich mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 74 Rdnr. 48 b m.w.N.). Entsprechendes gilt auch für die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl. Göhler, aaO., § 74 Rdnr. 48 b, § 79 Rdnr. 27 d, § 80 Rdnr. 16 i). Die vom Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen genügen jedoch zum Teil bereits nicht den Anforderungen des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und sind zudem nicht begründet.

Die Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist bereits unzulässig. Es fehlt an jeglicher Darlegung, was der Betroffene im Falle der Anhörung zur Sache über seinen Verteidiger gegen den Tatvorwurf eingewandt hätte.

Im Übrigen ist die Rüge aber auch nicht begründet. Denn der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt. Voraussetzung dafür wäre, dass das Amtsgericht den Betroffenen unter Missachtung seines Vorbringens zu Unrecht nicht von seiner Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden hätte. Das Amtsgericht hat vorliegend die beantragte Entbindung vom persönlichen Erscheinen jedoch mit zutreffender Begründung abgelehnt, weil die Anwesenheit des Betroffenen, nachdem er zur Fahrereigenschaft keine Angaben gemacht hat, zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes erforderlich war. Die in § 73 Abs. 2 OWiG geregelten Voraussetzungen lagen mithin nicht vor.

Die Verfahrensrüge der Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit c MRK ist zwar zulässig erhoben, aber ebenfalls unbegründet. Dahingestellt bleiben kann, ob die Anwendung von § 74 Abs. 2 OWiG im Fall eines in der Hauptverhandlung durch einen Rechtsanwalt vertretenen Betroffenen überhaupt gegen Art. 6 Abs. 3 MRK verstößt. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, war das Amtsgericht aufgrund des nicht auslegungsfähigen und eindeutigen Wortlauts der Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG zu ihrer Anwendung verpflichtet (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG).

Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten wurde als völkerrechtlicher Vertrag durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung kommt den Regelungen der Konvention der Rang einfachen Bundesrechts zu. Die Konvention ist bei der Interpretation des nationalen Rechts im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden. Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln. Aus dem Stellenwert der Europäischen Menschenrechtskonvention als lediglich einfaches Bundesrecht folgt indes, dass die Verpflichtung deutscher...

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