Leitsatz (amtlich)

Auch im Verfahren nach § 890 Abs. 1 ZPO gelten die Grundsätze des Anscheinsbeweises, der sich auch auf das erforderliche Verschulden erstrecken kann.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Beschluss vom 15.01.2018; Aktenzeichen 07 O 677/17)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 15.01.2018 - 7 O 677/17 - wird zurückgewiesen.

Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

I. Die Parteien haben unter dem vorbenannten Aktenzeichen vor dem Landgericht um die Zahlung von Schmerzensgeld und die Unterlassung von Äußerungen des Schuldners gegenüber dem Gläubiger gestritten. Das Verfahren wurde durch einen Prozessvergleich beendet, in dem sich der Schuldner zur Unterlassung verpflichtet hat. Wegen behaupteter Verstöße gegen die im Vergleichswege übernommene Verpflichtung hat der Gläubiger unter dem 14.12.2017 die Festsetzung eines Ordnungsgeldes beantragt, ersatzweise die Androhung von Ordnungshaft. Der zum Antrag angehörte Schuldner hat in seiner Stellungnahme nicht bestritten, die ihm vorgeworfenen Äußerungen getätigt zu haben, hat aber behauptet, er habe mit den Äußerungen andere Personen gemeint. Das Landgericht hat ihm daraufhin mit der nun angefochtenen Entscheidung ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft angedroht und ausgeführt, der Schuldner habe die Äußerungen an sich nicht bestritten, die Wortwahl sei im Übrigen typisch für ihn gegenüber dem Gläubiger, so dass davon auszugehen sei, bei der Einlassung, es seien andere Personen gemeint gewesen, handele es sich um eine bloße Schutzbehauptung.

In seiner hiergegen gerichteten Beschwerde hat der Schuldner seine Behauptung wiederholt, er habe "über einen anderen Menschen" als den Gläubiger gesprochen, denn er habe dessen Namen nie erwähnt. Er kommuniziere nur mit seiner Frau auf dem Balkon und nicht mit dem Gläubiger persönlich (Bl. 81).

II. Die sofortige Beschwerde ist nach § 890 Abs. 1 i.V.m. § 793 ZPO statthaft, und sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt, mithin zulässig.

In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Zwar gilt grundsätzlich, dass wegen des strafrechtsähnlichen Charakters der Vorschriften des § 890 ZPO der Gläubiger den Vollbeweis eines schuldhaften Verstoßes des Schuldners gegen die - hier im Vergleichswege - ausgesprochene Schutzanordnung führen muss (Zöller-Seibel, ZPO, 32. Aufl., § 890 Rz. 13 m.w.N.), und hat der Schuldner hier einen solchen Verstoß bestritten. Jedoch ist zugunsten des Gläubigers der Anscheinsbeweis zulässig. Der strafähnliche Charakter der Vorschrift ändert nichts daran, dass es sich um die Durchsetzung privatrechtlicher Verpflichtungen in einem Verfahren zwischen privaten Parteien handelt. Während im Strafverfahren der Grundsatz der Amtsermittlung herrscht und die staatlichen Ermittlungsbehörden zur Durchsetzung des öffentlichen Strafanspruchs befugt sind, Zwangsmittel einzusetzen, kann sich der Gläubiger des Vollstreckungsverfahrens zur Erhebung von Beweisen dieser Mittel nicht bedienen. Das rechtfertigt Beweiserleichterungen zu seinen Gunsten. Es ist daher zulässig, dass auch im Verfahren nach § 890 Abs. 1 ZPO einem Sachverhalt, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Geschehensablauf hinweist, unter dem Gesichtspunkt des Anscheinsbeweises Bedeutung zugemessen wird (BVerfG, Beschl. v. 23.04.1991 - 1 BvR 1443/87, juris Rz. 19). Auch ein Verschulden i.S.v. § 890 Abs. 1 ZPO kann auf diese Weise festgestellt werden. Der Vollstreckungsschuldner wird durch die Zulassung dieser Beweisführung nicht unzumutbar benachteiligt. Hat der Gläubiger Umstände vorgetragen, die nach den Regeln des Anscheinsbeweises auf ein Verschulden des Schuldners schließen lassen, hat dieser die Möglichkeit, den Anschein durch einen entsprechenden Vortrag zu erschüttern. Dies ist ihm zumutbar, denn regelmäßig steht er dem Vorgang, der das Ordnungsgeldverfahren auslöst, näher als der Gläubiger und ist daher besser als dieser in der Lage, die entscheidungserheblichen Tatsachen aufzuklären (BVerfG, aaO.). Gemessen hieran hat vorliegend das Landgericht zu Recht ein Erwiesensein des vom Gläubiger behaupteten schuldhaften Verstoßes angenommen. Der Gläubiger hat vorliegend Umstände vorgetragen, die eine Situation beschreiben, welche exakt denjenigen Situationen entspricht, die Gegenstand des Vergleichs waren. Dies lässt nach der Lebenserfahrung darauf schließen, dass auch diesmal der Gläubiger Gegenstand der auf dem Balkon vorgebrachten Beschimpfungen war. Den Anschein hat der Schuldner durch die nicht weiter konkretisierte Behauptung, er habe andere Personen gemeint, nicht erschüttert.

Die sofortige Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen. Für das Beschwerdeverfahren fällt eine Festgebühr nach GKG KV 2121 an.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11622641

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